harald fricke über Märkte
: Die Rave-Wave

Auf der Flucht vor Daniel Küblböck: Wie Sommermoden zu meiden sind

„Hallo Mensche!“, grüßt ein bärtiger Sozialabstiegskauz die Fußgänger abends auf der Oranienburger Straße. Irgendwer hat ihm einen dieser gelb gebatikten Baumwollschals geschenkt, an denen man vor drei Wochen die Christen erkennen konnte. Mittlerweile sieht das Tuch aus, als hätte es einige deftige Biernächte und Currywurstattacken hinter sich gebracht. Die ÖKT-Trupps sind dagegen längst wieder vergessen. Nur ein Kollege aus dem vierten Stock wünscht sich aus echter Freude, dass die flippige Religionsgemeinde am besten gleich bis zur Love Parade weitergefeiert hätte.

Auch ich habe nichts gegen ein gepflegtes Touristentum in der Stadt. Zum Beispiel das Paar in der U-Bahn: Er in senffarbenen Hosen von Jil Sander, sie in einem schwarzen Kostüm von Sonia Rykiel. Nur an dem Badge auf seinem Jackett kann man erkennen, dass die beiden zur 30. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf- Erkrankungen e. V. (DGPR) nach Rüdersdorf bei Berlin gekommen sind und jetzt mal so richtig auf den Putz hauen wollen mit Opernabend, Weinstube und Reichstagskuppelshow.

Überhaupt sind die Dresscodes selbst in meinem Bekanntenkreis unergründlich geworden. New-Wave-Mode à la Nena geht seit Daniel Küblböcks Auftritten in „Deutschland sucht den Superstar“ wieder, als Legende aus guter alter Zeit. Look der Masse? Die neue Bewegung? Wer solchermaßen mit dem klammen „Ich will Spaß“-Revival konfrontiert durch die Bekleidungshäuser streift, wird sich nach den Neunzigerjahren sehnen. Als die Farben grell und der Fun noch hart und fantastisch waren; als Ekstase nicht als Gebet, sondern in Pillenform erhältlich war. Ganz richtig, sie haben verstanden – ich will meinen Rave wiederhaben. Mit 150 Beats in der Minute, mit Polizeisirenensounds, mit Trillerpfeifen, Pumpgun-Wasserspritzen und verstrahlten Blubberlampen-Neo-Psychedelic-Dekorationen, in denen ein paar tausend TänzerInnen sich zu Westbam-Platten vergnügen. In Blümchen-BHs und Radlerhosen.

So, jetzt ist es raus. Radlerhosen, Radlerhosen, Radlerhosen. Ich sehe schon, wie Sie sich streuben: Dünne Männerbeine, igitt! Kaum behaart und braun gebrannt, frisch aus dem Sonnenstudio. Mit tätowierten Waden dran, die aus rot geränderten Tennissocken oberhalb der Turnschuhe ragen; und in der Schrittgegend eine hübsche Kreuzstichkante, die dem Mann die Körpermitte vorteilheischend hervorwölbt. Sexy ist das nicht, eher Liebe zum Trash. Oder Sportsgeist, schließlich hatte Jan Ullrich seine große Zeit bei der Tour de France in den Neunzigerjahren, vielleicht war er damals größer sogar noch als Jesus oder Effenberg.

Natürlich kenne ich bei aller Fitness-Nostalgie neben den ästhetischen und den moralischen auch die gesundheitlichen Bedenken. Hatte nicht vor ein paar Jahren die Albstadter Firma Gonso Sportmoden eine mit hochgiftigen Schwermetallen belastete Radlerhose aus dem Verkehr ziehen müssen? Damals war in den schaumstoffgefütterten Polstern einer Hose eine erhöhte Schwermetallverbindung Tributylzinns (TBT) festgestellt worden, das brachte den ganzen Radlerhosenmarkt in Verruf. Der Onkel einer Bekannten aus Essen trägt seither nur noch die Hosen des DFB, wenn er auf sein Mountainbike steigt – obwohl seine käsigen Beine in dem weiten Trikot aussehen wie zwei Stengel unter einem ausgefransten Stinkmorchelhut. Dann doch lieber TBT, das ist auch gut als Imprägnierung gegen Schweißentwicklung und als Schutzmittel gegen Bakterienbildung an den empfindlichen Stellen des Körpers – dafür kann man ruhig ein bisschen Unfruchtbarkeit in Kauf nehmen.

Ob der Schadstoff mittlerweile ganz aus den Hosen raus ist, weiß ich nicht. Aber ich habe schon einige ganz passable Exemplare für die heiße Zeit entdeckt, die nächste Woche mit dem Christopher Street Day beginnt: Aus leckerem Latex, knackschwarz als Funfashion für 84,90 Euro zu haben, genau das Richtige für die Love Parade vor sechs oder sieben Jahren. Damit bin ich in Eggenfelden, wo Daniel Küblböck immer noch seine Homebase hat, zwar völlig untendurch, aber hauptstadtmäßig wohl wieder weit vorne weg in der Revival-Spirale: Die nächste Rave-Wave kommt bestimmt. Falls nicht, kann ich mich immer noch in meinem wurstpellenengen 94er-Raver-Outfit neben den Freak von der Oranienburger Straße setzen und allen Zickzack-Eighties-Monstern ein herzliches „Hallo Mensche!“ zurufen.

Fragen zur Radlerhose?kolumne@taz.de