Endlich auch mal gewonnen

Zum ersten Mal seit 1990 erinnert der Bundestag wieder an den 17. Juni 1953. Heute sehen die Festredner den Gedenktag nicht mehr als Niederlage, sondern als Vorboten für den Herbst 1989. Richtige Feststimmung will aber trotzdem nicht aufkommen

aus Berlin RALPH BOLLMANN

Endlich stehen die Deutschen mal wieder auf der Gewinnerseite. Als sich Gerhard Schröder kurz nach dem Berlin-Umzug von seinem örtlichen Genossen Walter Momper die Stadt zeigen ließ, kamen die beiden auch an der Siegessäule vorbei. Das schlanke Bauwerk im hauptstädtischen Tiergarten solle an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 erinnern, erfuhr der Kanzler. „Gewonnen?“, fragte er – und wurde sogleich belehrt: Sein Vorgänger Otto Bismarck hatte den Feldzug doch tatsächlich gewonnen.

Der 17. Juni 1953 dagegen galt lange als Niederlage. Doch gestern musste Schröder, mit den Spitzen der anderen Verfassungsorgane zur Gedenkstunde im Bundestag vereint, aus dem Mund der Festredner erfahren: Die Aufständischen in Ostberlin und andernorts haben gewonnen, wenn auch mit mehr als 36 Jahren Verspätung erst im Herbst 1989. „Der 17. Juni war einer der großen Tage der deutschen Freiheitsgeschichte“, freute sich Bundespräsident Johannes Rau (SPD), und der Magdeburger Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) verkündete als Präsident der Länderkammer: „Wir feiern am 17. Juni, was wir am 3. Oktober gewonnen haben.“

Es war die erste Feierstunde zum 17. Juni nach 13 Jahren Pause, worauf Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) als Dritter im Reigen der Festredner hinwies. Rau nutzte die Gelegenheit zur persönlichen, aber auch zur kollektiven Selbstkritik für die alte Bundesrepublik als Ganzes. Im Westen sei „die Chance, die dieser Tag geboten hat, nicht genug genutzt“ worden. „Vielen von uns war der 17. Juni – aus dem einen oder anderen Grund – irgendwie lästig geworden.“ Die Fixierung auf die deutsche Einheit habe die anderen Ziele der Aufständischen in den Hintergrund gedrängt, sie habe „das Gedenken kompliziert und das Vergessen befördert“.

Der Präsident erinnerte an eine heute fast vergessene Massenkundgebung in Paris Anfang Juli 1953. Anders als die Deutschen hätten die Franzosen schon damals erkannt: „Die Arbeiter von Ostberlin haben Deutschland seine Würde wiedergegeben.“

Von der Freude und dem revolutionären Pathos, mit dem die Franzosen vergleichbare Tage zu begehen pflegen, war gestern im Reichstagsgebäude allerdings wenig zu spüren. Am 14. Juli werden im Nachbarland ganz selbstverständlich die Wonnen der Freiheit gerühmt, nicht die Toten der Revolution betrauert.

Anders im deutschen Parlament: Spontanen Beifall bekamen die Redner immer nur dann, wenn sie Gerechtigkeit für die Opfer des 17. Juni einforderten. Böhmer rief nach einer Ehrenpension für ebendiese Opfer, und Rau verlangte, mehr Straßen als bisher nach den Aufständischen vom Juni 1953 zu benennen.

Mit dem Gewinnen, so schien es, tun sich deutsche Politiker noch immer schwer. Aber vielleicht lag es ja an der Zusammenstellung der Festredner. Oder an dem in Deutschland unvermeidlichen Streichquartett.