Aus der vagen Wahrscheinlichkeit wurde Sicherheit gemacht

Nur hinter verschlossenen Türen will der US-Kongress die Stichhaltigkeit der Waffenvorwürfe gegen den Irak untersuchen. Demokraten hoffen auf Wahlkampfzündstoff

WASHINGTON taz ■ In den USA werden dieser Tage Erinnerungen an den Vietnamkrieg wach. 1964 verabschiedete der Kongress die „Gulf of Tonkin Resolution“, die Präsident Lyndon Johnson zur Anwendung militärischer Gewalt autorisierte. Die Ermächtigung basierte auf seiner Aussage, US-Kriegsschiffe seien von vietnamesischen Torpedos angegriffen worden – eine Lüge, wie die Öffentlichkeit erst Jahre später erfuhr.

Heute geht es wieder darum, ob ein US-Präsident die Öffentlichkeit belogen hat, da er einen Kriegsgrund brauchte. Um dies herauszufinden, fordern die Demokraten eine unabhängige Untersuchung im US-Kongress. Die Republikaner blockieren dieses Verlangen mit ihrer Mehrheit, haben jedoch Anhörungen im Geheimdienstausschuss hinter verschlossenen Türen zugestimmt, die diese Woche beginnen.

Die entscheidenden Fragen dabei werden sein, wie zuverlässig die Geheimdienstanalysen waren, und inwieweit die US-Regierung CIA-Berichte aus politischen Gründen frisiert hat. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gibt sich kämpferisch. „Die Wahrheit ist, dass Berichte der CIA und ausländischer Geheimdienste ein deutliches Bild zeichneten, dass der Irak verbotene Waffen hatte und gewillt war, sie zu verstecken.“ Eine peinliche Schlappe räumte sie immerhin ein: Die Vorwürfe, Bagdad habe Uran in Afrika gekauft, seien falsch gewesen. Sie und Außenminister Colin Powell bestehen jedoch darauf, dass es noch zu früh sei, um abschließende Bewertungen anzustellen.

Bush ist irritiert

Präsident George W. Bush, der vor wenigen Tagen noch tönte, verrostete Lkw-Anhänger seien Belege für Bio- und Chemiewaffen, ist derweilen kleinlauter geworden und spricht vorsichtshalber von Waffenprogramm statt Arsenalen. Sichtlich irritiert zeigte er sich während einer Pressekonferenz über einen Artikel aus der New York Times. Dort wurden zwei gefangene hochrangige Al-Qaida-Mitglieder mit der Aussage zitiert, die irakische Regierung habe nicht mit der Terrorgruppe zusammengearbeitet. Der CIA hatte stets betont, keine Verbindung belegen zu können.

Geheimdienstler hatten sich in den letzten Tagen verwundert in der Presse darüber geäußert, wie definitiv die Bush-Regierung in der Öffentlichkeit eine Verbindung zwischen Bagdad und al-Qaida darstellte. „Wir waren völlig verblüfft, welche Stellungnahmen aus dem Weißen Haus kamen“, äußert sich ein CIA-Mitarbeiter in der Washington Post. Andere warfen der Regierung Dramatisierung vor. Ein im Oktober veröffentlichter CIA-Bericht besagte, dass der Irak „wahrscheinlich“ versteckte Techniken besitze, um sein chemisches Waffenprogramm fortzusetzen.

Diese Wahrscheinlichkeit sei in Sicherheit verwandelt worden, „immer und immer wieder“, kritisiert Senator Carl Levin von den Demokraten. Ihre Präsidentschaftskandidaten versuchen, den Manipulationsvorwurf zum Wahlkampfthema zu machen. Doch Vorsicht ist geboten, raten Wahlkampfstrategen. Sollten doch Spuren von ABC-Waffen gefunden werden, der Urnengang ist schließlich erst Ende 2004, hätten sich die lautstarken Kritiker ins politische Abseits manövriert.

Ohne ein spürbar öffentliches Interesse droht jedoch die Kritik der Demokraten zu versanden. Man bräuchte schon ausreichend Ärger in der Bevölkerung, um für eine Kongress-Untersuchung den notwendigen Druck aufrechtzuerhalten, sagt der Politologe Larry Sabato von der Universität von Virginia. „Amerikaner mögen es einfach nicht, ihren Siegern nachträglich auf die Finger zu schauen.“

MICHAEL STRECK