Hoffnung auf den Wüstensand

Tony Blair steht mit dem Rücken zur Wand – nicht nur wegen seiner fortgesetzten Behauptung, der Irak habe über Massenvernichtungswaffen verfügt

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Statt die Geheimdienstinformationen als Grundlage für eine Entscheidung zu benutzen, habe die britische Regierung sie als Rechtfertigung für einen Krieg eingesetzt, auf den man sich längst festgelegt hatte. Das sagte der frühere britische Außenminister und Labour-Fraktionschef Robin Cook, der im März aus Protest gegen den bevorstehenden Irakkrieg zurückgetreten war. Cook war gestern der Erste, der vor dem außenpolitischen Unterhausausschuss aussagte. Er bezeichnete die Geheimdienstberichte als „Buchstabensuppe, aus der sich die Regierung die passenden Buchstaben herausgepickt“ habe.

Der Ausschuss untersucht, ob die Regierung die Geheimdienste gezwungen hat, ihre Berichte aufzupeppen. In einem Bericht vom September vorigen Jahres heißt es, dass der Irak seine Massenvernichtungswaffen binnen 45 Minuten in Einsatzbereitschaft haben könne. Die Geheimdienste wollten diese Beurteilung angeblich nicht in ihren Bericht aufnehmen, da sie nur auf einer einzigen Quelle beruhte – einem irakischen Dissidenten. Ein Geheimdienstmitarbeiter sagte, die Regierung habe angeordnet, den Bericht „sexy“ zu machen. Das sei gelogen, sagt Blair: „In dem Bericht stand nichts, das nicht von den Geheimdiensten stammte.“

Blair hatte seit April vorigen Jahres fünf Mal vor dem Unterhaus behauptet, Saddam verfüge über Massenvernichtungswaffen, zuletzt vor drei Monaten: „Wir sollen ernsthaft glauben, dass Saddam – entgegen aller historischen Erfahrung und den Erkenntnissen der Geheimdienste – in den letzten Jahren unilateral beschlossen hat, diese Waffen zu zerstören? Ich sage, dass solch eine Behauptung vollkommen absurd ist.“ Gestern betonte Blair, die Suche nach den ABC-Waffen würde eben erst beginnen. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir eindeutigste Beweise für diese Waffen finden werden“, sagte er.

Sein Berater, Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith, sagt, er bleibe bei seiner Einschätzung, dass der Krieg gegen den Irak nach internationalem Recht legal war. „Was die Informationen angeht, auf denen meine Einschätzung und mein Rat beruhten, mache ich mir keine Sorgen“, sagte Goldsmith.

Blair wird nicht vor dem außenpolitischen Ausschuss aussagen. Er kooperiert aber mit dem parlamentarischen Ausschuss für Geheimdienste und Sicherheit (ISC), der die Angelegenheit ebenfalls untersucht. Dieser Ausschuss ist allerdings von Blair ernannt worden, er tagt hinter verschlossenen Türen und legt dem Premierminister danach seinen Bericht vor. Der hat das Recht, ihn vor der Veröffentlichung zu zensieren.

Blairs Glaubwürdigkeit hängt von dem Untersuchungsergebnis ab. Er steht mit dem Rücken zur Wand – nicht nur wegen der Untersuchungen. Seine Kabinettsumbildung vorige Woche ist zur Farce geraten, weil er das Amt des Lord Chancellor abgeschafft hat, obwohl er dazu nicht berechtigt war; seine Weigerung, ein Referendum über die neue EU-Verfassung zuzulassen, hat ihm Kritik aus den eigenen Reihen eingebracht; und die Reform des Gesundheits- und Bildungswesens ist bei der Öffentlichkeit durchgefallen. Jeder Punkt für sich genommen wäre für Blair kein Grund zur Beunruhigung, doch in der Kombination untergraben sie seinen Ruf. Seine Gegner bezeichnen ihn als arrogant, weltfremd und diktatorisch.

Aufgrund des großen Interesses der Öffentlichkeit an der Untersuchung beschloss die BBC, die Eröffnung live im Fernsehen zu übertragen. Die Ausschüsse werden mehrere Wochen tagen. Blair kann nur hoffen, dass man in der Zwischenzeit ein paar Massenvernichtungswaffen irgendwo im irakischen Wüstensand findet. Dann wären die parlamentarischen Untersuchungen hinfällig und Blair rehabilitiert.