Suppe lügt nicht

Die Flüssigware könnte die Döner- und Pizzaepidemie verdrängen – mit frischen Zutaten

VON TILL EHRLICH

Das Leben eines Büromenschen kann einsam sein. Und die Mittagspause macht den Alltag nicht besser. Sie ist kurz und bietet wenig Möglichkeiten. Gut, man kann die tausendste Pizza bestellen oder ein fades Baguettebrötchen vor dem eigenen Geschmack schönreden. Man kann in der Teeküche eine Instantsuppe mit heißem Wasser aufgießen, inklusive zweieinhalb Gramm echten Hühnerfleischanteils. Dank der standardisierten Produkte der Nahrungsmittelindustrie ist die Auswahl auf das Ewiggleiche beschränkt. Auf Fastfood. Anders ist das, wenn es an der Ecke eine Suppenbar gibt. Und zwar eine, in der täglich frisch und sorgfältig gekocht wird – mit knackigem Gemüse, Kartoffeln, Knochen, Fleisch und duftigen Kräutern.

Suppe ist ein Urelement der Küche. Die erste Suppe, die „Ursuppe“, köchelten Steinzeitmenschen mit glühenden Steinen in Gefäßen und Säcken aus Tierhaut. Lange Zeit wurde die Suppe nur aus pflanzlichen Zutaten wie Gerste, Hirse und Hafer gekocht. Erst viel später wurde sie mit Fisch, Fleisch oder Wurst ergänzt. Mit der Suppe ist die Kochkunst groß geworden. Von ihr leiten sich sämtliche Saucen, Eintöpfe, Breie und Brühen ab. Die Suppe hat unverwüstliche Tugenden: Sie ist ein preiswertes und nahrhaftes Essen für viele. Mit jedem Aufkochen wird sie besser und sie kann sich durch stundenlanges Sieden verwandeln – das ist das Geheimnis jeder guten Suppe.

Seit einigen Monaten feiert die Suppe ihr Comeback als leichte Trendkost. Eine fettarme Suppe füllt den Magen mit heißer Flüssigkeit und sorgt rasch für ein angenehmes Sättigungsgefühl. Das bändigt den Appetit. Darüber hinaus ist das langsame, genüssliche Löffeln entspannend. Wellness von innen. Beim Suppentrend geht es nicht nur um Gesundheit, sondern auch um Kreativität und suppige Sinnlichkeit. Dafür stehen Suppenbars, die in Metropolen wie New York oder London die Fastfood-Szene revolutioniert haben. Auch hierzulande sind Suppenbars immer öfter in den Großstädten anzutreffen.

Eine Pionierin dieser erfreulichen Entwicklung ist in Deutschland Katharina Körner. Vor fünf Jahren hat sie in Berlin die erste Suppenbar eröffnet und sie „Soup Kultur“ genannt. Inzwischen hat sie drei Filialen aufgebaut, in denen sie sich um Esskultur bemüht. Eine Gegenbewegung zur Lieblosigkeit und Routine der Gastronomie.

Das sieht man den Suppenbars von Soup Kultur von weitem an. Sie leuchten rosarot oder apfelgrün. Wer sie betritt, atmet den sanften Curryduft der Thaisuppe ein oder das herzhafte Aroma der Kartoffelsuppe. Der Blick fällt auf das Obst, aus dem frische Säfte gepresst werden. Im Hintergrund läuft dezente Reggae-Musik, vorn werden Suppen in stilvolle Schalen geschöpft. Man kann sie auch in Bechern „to go“ mitnehmen.

„Zum Kochen“, sagt Katharina Körner mit Überzeugung, „braucht man Intuition und Herzblut.“ Tausend Suppenrezepturen hat sie erarbeitet und ein rationales System entwickelt. Es garantiert, dass bei ihr etwa dreihundert Liter Suppe täglich frisch gekocht werden, ohne dass sich die Qualität verändert – und zwar alles ohne Industrieprodukte und Tiefkühlkost. „Wir sind eine echte Manufaktur.“ Aus ihrem großen Repertoire schöpft Körner Vielfalt und Abwechslung, das Suppenangebot wechselt täglich. Es reicht von deftigen heimischen Kartoffelsuppen und Eintöpfen über mediterrane Tomatensuppen bis hin zu exotischen Köstlichkeiten wie thailändischer Zitronengrassuppe oder indischen Currysuppen.

Damit alles in der angestrebten Qualität zubereitet werden kann, ist straffes Timing nötig. Um 9.30 Uhr müssen alle Suppen fertig sein, um prompt in die Filialen der Berliner Innenstadt gefahren zu werden. Zwei Stunden später wird die erste Suppe ausgekellt.

Gesuppt wird bei Soup Kultur das ganze Jahr über in der Markgrafenstraße, in der Rosa-Luxemburg-Straße und am Kurfürstendamm. Auch im Sommer. In den kühlen Monaten hat die heiße Suppe Konjunktur, im Sommer die kalte. Etwa 450 Teller Suppe werden in den drei Läden täglich ausgegeben. Dazu beschäftigt Körner sechs Mitarbeiter in Vollzeit, je nach Saison kommen noch mal so viele studentische Teilzeitkräfte hinzu.

Mit seinen sorgfältig zubereiteten Suppen hat sich das Team bei der Stammkundschaft Vertrauen geschaffen. Ein Plus, das ihm in der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation hilft. Nur von der Suppe kann die Firma inzwischen aber nicht mehr leben. So hat sie zusätzlich ein Catering aufgebaut, das zum wichtigen zweiten Standbein für die Manufaktur geworden ist. „Man muss sich etwas einfallen lassen, in Bewegung bleiben“, sagt Körner. Weil die Kunden sparsamer werden, bietet Soup Kultur in ihren Suppenbars zusätzlich preiswerte Reis- und Nudelgerichte an. „Die Leute wollen für wenig Geld satt werden.“

Am Anfang war es Körners Traum, nur Biosuppen zu kochen, „weil sie Psyche und Bauch glücklich machen“. Doch die Geiz-ist-geil-Hysterie hat dazu geführt, dass auch Suppenfans sparen. Trotzdem gibt Katharina Körner ihren Traum nicht auf: „Ich glaube an Bio und dass es bald wieder mehr Leute gibt, denen es wichtig ist, was in ihre Mägen kommt.“ Bis dahin bietet sie Biosuppen und -speisen für Caterings an.

„Die Suppe lügt nicht“, sagt Katharina Körner. Man schmecke schon heraus, ob jemand schummelt. Ob mit Maggi, Brühpulver oder Geschmacksverstärker etwas vorgetäuscht wird. Die Krise der Gastronomie in Deutschland hat nicht nur mit der schlappen wirtschaftlichen Stimmung zu tun, sondern viel mit Bequemlichkeit, Mutlosigkeit und fantasieloser Routine. Mit industriellen Fertigprodukten, branchenintern „Convenience-Food“ genannt, wollen die meisten Gastronomen Kosten und Zeit sparen. Folge: Alles schmeckt überall und immer gleich, der Reichtum der Kochkultur stirbt ab.

Aber die Dominanz des Fastfood erzeugt auch Gegendruck: Die kulinarische Denke von Foodwatch und Slowfood wird wichtiger. Das Schöne an einer Suppe ist, dass sie die Gegensätze „slow“ und „fast“ vereinen kann. Ihre Zubereitung ist gemächlich, das genüssliche Löffeln ein Ritual, das aber auch „fast“ sein kann. In fünf Minuten ist der Teller blank. Trotzdem bleibt das Wesen der Suppe, die „Soup Kultur“, erhalten. Diese Erkenntnis ist durch die Suppenbars populärer geworden. Auch Cafés und trendige Kaffeebars bieten inzwischen täglich frische, selbst gekochte Suppen an. Und sie tun dies oft ohne Fertigprodukte, stattdessen mit Fantasie und Kreativität.

Ein schönes Beispiel kann man derzeit in Berlin am Prenzlauer Berg erleben. Ausgerechnet dort, wo Jobs und Geld rar sind, kann man für drei Euro täglich köstliche Suppe schlürfen. „Meze“ heißt eine winzige olivgrüne Kaffeebar in der Raumerstraße am Helmholtzplatz. Zwei Frauen, Mitte zwanzig, kochen mit Sorgfalt Tag für Tag aus guten und frischen Zutaten einen großen Topf Suppe – ohne „Mother’s little Helpers“ von Maggi und Co. An der Qualität der täglich wechselnden Suppe sollten sich lustlose Kochprofis ein Beispiel nehmen. Als der erste Schnee fiel, gab es dampfende Hühnersuppe mit Kohlrabi, als es taute, cremige Spinatsuppe mit frischer Minze. Und am ersten Frühlingstag haben sie die „Red Hot Chili Peppers“ aufgelegt, den Verstärker aufgedreht und kreolische Auberginensuppe serviert.

TILL EHRLICH, 39, freier Journalist und Autor in Berlin, schreibt am liebsten über Genuss und Wein. Soeben ist von ihm das Handbuch „Die besten Supermarktweine. 100 Weine entdecken und genießen“ im Hallwag-Verlag erschienen; 128 Seiten 6,90 Euro