Titelhelden, Alltagssorgen

Melancholisch angehauchte Komödien, Problemfilme und verstörende Erlebnisse: Am Freitagabend wird „Italia! Cinema!“ eröffnet. Das 6. Festival des neuen italienischen Films läuft bis zum 29. im Zeise

von ECKHARD HASCHEN

Wenn man doch nur mit den neuesten französischen Filmen so gut versorgt würde, wie es die Zeise-Kinos mit den neuen italienischen Produktionen alljährlich tun. Die letztjährige Reihe ging mit ein paar Aktualisierungen im Dezember sogar auf Tournee durch 14 weitere deutsche Städte. Nun also 13 neue Arbeiten, Nachreichungen aus den Vorjahren inklusive.

Schön, dass endlich Marco Tulli Giordanas I cento passi (100 Schritte) dabei ist, der vor drei Jahren beim Festival von Venedig ausgezeichnet wurde und danach für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert war. Die „100 Schritte“ meinen die Entfernung zwischen dem Elternhaus von „Peppino“ Giuseppe Impastato und dem des lokalen Mafiabosses eines kleinen Ortes bei Palermo. Impastato, der sich schon als Kind gegen die Mauer des Schweigens entschieden hatte, war Anti-Mafia-Aktivist, als er am 9. Mai 1978 ermordet wurde. Giordanas mutiger Film über den zunächst als Unfall zu den Akten gelegten und erst 1994 nach einer Fernsehreportage wieder aufgerollten Fall, wird vor allem durch die minutiöse Art getragen, wie Luigi Lo Cascio sich seine Rolle in allen Details angeeignet hat.

Ebenfalls in den späten siebziger Jahren spielen Lo non ho paura (Ich habe keine Angst) von Gabriele Salvatores und Renato De Marias Paz! (Paz! Die Welt des Andrea Pazienza). Ersterer erzählt von dem verstörenden Erlebnis eines neunjährigen Jungen aus dem ländlichen Apulien, der beim Spielen in einem Erdloch einen kleinen Jungen entdeckt, den sein Vater entführt hat und zu töten beabsichtigt. Paz ist eine Hommage an die Welt der Comics von Andrea Pazienza und zeigt vor dem Hintergrund der politischen Bewegungen der Zeit 24 Stunden aus dem Leben von Studenten, die in derselben WG leben, ohne sich jemals zu begegnen.

Noch etwas warten müssen wird man auf The Dreamers, den im Paris des Jahres 1968 angesiedelten neuen Film von Bernado Bertolucci, der ebenso wie Marco Bellocchios neuer Film über die Ermordung Aldo Moros beim Festival von Venedig laufen soll. Zu sehen ist dafür L‘ora di religione (Das Lächeln meiner Mutter), Bellocchios Film aus dem letzten Jahr um einen Maler und Kinderbuch-Illustratoren, der mit Bestürzung erfährt, dass seine Mutter sich heilig sprechen lassen will. Und das, wo er selbst überzeugter Atheist ist.

Wie schon in den letzten Jahren fällt auf, dass die meisten gegenwärtigen italienischen Regisseure eher an die melancholisch angehauchten Komödien der hierzulande immer noch zu wenig gewürdigten Mario Monicelli und Dino Risi anknüpfen als an die Werke großer Namen wie Rossellini, Antonioni, Pasolini ... An Fellinis Rimini erinnert Da zero a dieci (2. Ausfahrt Rimini) von Luciano Ligabue zumindest von Ferne. Vier Männer fahren – die Köpfe voll von verklärten Erinnerungen – wie schon einmal vor 20 Jahren dorthin, um ihre verlorene Jugend samt damaliger Freundinnen wieder aufleben zu lassen. Einen Ton leichter kommt sowohl Giulio Manfredonias Drei Männer im Glück daher, dessen über ihre Alltagssorgen klagenden Titelhelden sich plötzlich in der Haut des jeweils anderen wiederfinden, als auch Mari del sud (Karibik im Souterrain) von Marcello Cesena um einen Manager, der wegen plötzlicher Geldnot mit seiner Familie Urlaub im eigenen Keller macht, um sich nicht vor den Nachbarn zu blamieren.

Von den Schwierigkeiten, Leidenschaft, Familienwerte und Ansprüche auf Selbstverwirklichung miteinander zu verbinden, erzählt mit ebenso leichter Hand Alessandro D‘Altris Casomai (Was wäre, wenn ...). Das junge Paar bekommt tausend gute Ratschäge zum Glücklichwerden, merkt aber schnell, dass es nur seinen ganz eigenen Weg dorthin finden kann. In La forza del passato (Schatten der Vergangenheit) von Piergiorio Gay dagegen ist die Nachricht, dass seine Frau ihn betrogen hat, für den 40-jährigen Helden (Sergio Rubini) nicht einmal das Schlimmste: Zuvor musste er erfahren, dass sein Vater (Bruno Ganz) jahrelang für den KGB gearbeitet hat.

Mit sehr viel jugendlichem Drive können Roberta Torres Angela und Asuddelsole (Obsessiv) von Pasquale Marrazzo aufwarten: In Ersterem heiratet eine 20-Jährige einen Kleinkriminellen und genießt das schnelle Leben, bis sie sich in einen anderen Kleingangster verliebt – ausgerechnet ihres Mannes rechte Hand. Letztere, eher dem Fach „Problemfilm“ zuzuordnende Arbeit, erzählt ebenfalls vom Auf und Ab einer jungen Liebe und zeichnet darüber hinaus ein Bild vom Leben an der Peripherie Mailands.

Eröffnung mit La forza del passato (OmeU): Fr, 20 Uhr, Zeise; bis 29.6., alle Filme und Termine siehe Programm