Getanzte Metamorphosen

Tänzer durften mit choreographierten Sequenzen experimentieren: John Neumeier hat für die 29. Hamburger Ballett-Tage das Stück „Préludes CV“ der Komponistin Lera Auerbach umgesetzt

von MARGA WOLFF

Musikalisches Wunderkind trifft Altmeister der Choreographie: Für Lera Auerbach ist es das erste Mal, eine ihrer Kompositionen im Tanz zu neuem Leben erweckt zu sehen. Ausgenommen ist eine kleine Arbeit während ihres Studiums an der New Yorker Juilliard School. John Neumeier erinnert die Begegnung mit der im russischen Tscheljabinsk geborenen Komponistin an seine Zusammenarbeit mit Alfred Schnittke 1989 zu seinem Ballett Peer Gynt. „Ganz offensichtlich spiegeln sich in dieser Musik meine eigenen Erfahrungen wieder, Erinnerungen an Menschen, an Beziehungen, an die verschiedenen Gesichter von Leuten, die ich kenne.“ Und Lera Auerbach gibt zu, dass ihr die Tränen kamen, so direkt habe die Choreographie ihr vor Augen geführt, was sie auf musikalischer Ebene intendiert hat.

Préludes CV zeigt zum Auftakt der 29. Ballett-Tage am 22. Juni in der Staatsoper zwei neue Ballette von John Neumeier zu musikalischen Uraufführungen zweier Kompositionen von Lera Auerbach. Die 24 Préludes für Cello und Klavier hat die Komponistin, Schriftstellerin und Pianistin John Neumeier gewidmet. Das zweite Stück des Abends, 24 Préludes für Violine und Klavier, widmet sie dem Violinisten Vadim Gluzman und der Pianistin Angela Yoffe, die es in Hamburg interpretieren werden.

Gluzman, der schon in Neumeiers Bernstein Dances die Solovioline spielte, war Anstifter des Projekts. Schon immer sei es ihr Traum gewesen, mit einem Choreographen zu arbeiten, sagt Lera Auerbach. „Ich halte es für sehr wichtig, dass Komponisten mit dem Theater kooperieren, weil es dabei vor allem um Kommunikation geht“, sagt sie.

Ihre ersten Erfahrungen mit den Bühnenkünsten sammelte Auerbach bereits als Zwölfjährige, als ihr damaliger Lehrer die Frist für eine Opernkomposition nicht einhalten konnte und den Auftrag kurzerhand an seine Schülerin weitergab. Die Oper nach Märchenmotiven tourte dann durch die gesamte Sowjetunion. Mit 14 Jahren publizierte Auerbach ein erstes Buch mit Poesie und Prosatexten. Doch die Tochter aus einer Künstlerfamilie – ihre Mutter ist Pianistin, der Vater Schriftsteller – sieht sich nicht als Wunderkind und beschreibt ihre mit Preisen ausgezeichnete Karriere als natürliche Entwicklung. 1991 hatte sie nach einem Konzert in den USA entschieden, nicht in die damalige Sowjetunion zurückzukehren. Das angebotene Stipendium der Juilliard School wollte sie nicht ausschlagen.

Auf Préludes CV angesprochen, spricht Lera Auerbach von einer gelungen Transformation, John Neumeier nennt es Metamorphose. Eine Wandlung, die sich auch durch die Charaktere seiner Tänzerfiguren zieht. Es gibt allein 17 Solorollen. „Ich glaube, es hat in der Geschichte kein Ballett mit so vielen Solopartien gegeben“, bemerkt Neumeier. Er habe sich beim Choreographieren ganz auf die Musik eingelassen. Die Motivation für die choreographierten Aktionen haben die Tänzer zuweilen selbst herausfinden müssen. „Ich habe ihnen die Freiheit gegeben, damit zu experimentieren.“ Somit wird jede Aufführung zu einer Entdeckungsreise, einem Abenteuer.

Genau diese Lust auf Abenteuer in der Herangehensweise an die Musik habe er bei den Bewerbern für den Prix Dom Pérignon sehr vermisst. Zum dritten Mal wird der Wettbewerb für den europäischen Choreographennachwuchs während der Ballett-Tage ausgetragen. Außerdem wird der Preisträger von 2001, Gustavo Sansano, ein neues Stück vorstellen. Einen Querschnitt durch die zeitgenössische Choreographie zeigt das Gastspiel des Ballet du Grand Théâtre de Genève mit Stücken von Mark Morris, Giorgio Mancini, Saburo Teshigawara. Im Gedenken an Rudolf Nurejew steht dagegen die abschließende Nijinsky-Gala mit Gästen des Balletts der Pariser Oper und dem Bolschoi Ballett aus Moskau weitgehend im Zeichen klassischer Tradition.

29. Ballett-Tage: 22.6.– 6.7., Staatsoper. Uraufführung Préludes CV : 22.6. 18 Uhr. Peer Gynt: 26. 6., 19 Uhr. Choreographischer Wettbewerb Prix Dom Pérignon: 1. 7., 10 Uhr. Ballet du Grand Théâtre de Genève, 2. 7., 20 Uhr. Nijinsky-Gala: 6.7., 18 Uhr