Mehr als nur 50 Euro...

Was waren wir baff: Eines Tages im Winter stürmten Studis die taz-Redaktion und baten um den Abdruck eines Manifests gegen „Ökonomisierung der Bildung“, das wir hier gekürzt dokumentieren

In den Medien wurde die Verhinderung der lächerlich erscheinenden 50 Euro Verwaltungsgebühren pro Semester als Hauptforderung der streikenden Studierenden dargestellt. Wir wollen hier noch mal ganz deutlich machen, dass wir statt dessen die gesamte Hochschulpolitik kritisieren, die derzeit in Bremen, aber auch in vielen anderen Bundesländern betrieben wird (...).

Die Beschlüsse, die derzeit von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt in immer schnellerem Tempo umgesetzt werden, sind zahlreich. Neben der Einführung von Gebühren für freiwillige Fremdsprachenkurse und Langzeitstudierende werden in Bremen immer mehr Dozentenstellen gekürzt und sogar ganze Studiengänge geschlossen (...). Im Zuge der forcierten Verschulung des Studiums werden die bisherigen Studienordnungen durch Bachelor/Master ersetzt, dem freien Studieren durch immer umfangreichere Prüfungsordnungen jede Grundlage entzogen und die Lehrinhalte auf das „Wesentliche“ reduziert. Verschärfte Aufnahmekriterien für viele Studiengänge und die Möglichkeit von Zwangsberatungen und -exmatrikulationen (...) gewährleisten, dass die Unis sich immer mehr aussuchen dürfen, wer bei ihnen studieren darf und wer nicht. Immer direkter mischt die Wirtschaft sich mit sogenannten Drittmitteln, direkten finanziellen Zuweisungen, in die vermeintlich freien Bildungsinstitutionen ein (...).

All diese Maßnahmen sind aber nicht Launen einzelner Politiker, sondern hinter ihnen steckt System (...). Die gemeinsame Linie, die diese Entwicklungen durchzieht, ist die Ökonomisierung der Bildung und letztlich der gesamten Gesellschaft. War die Universität bisher noch eine wenigstens teilweise autonome Einrichtung und war nicht direkt an die Ansprüche der Privatwirtschaft gebunden, so erfüllt sie jetzt immer mehr die Aufgabe in möglichst kurzer Zeit, passend ausgebildete und arbeitswillige Jungakademiker für den Arbeitsmarkt zu produzieren. Die Forschung dient nicht mehr einem langfristigen Nutzen für die gesamte Gesellschaft, sondern orientiert sich an kurzfristigen Verwertungsinteressen (...).

Die angesprochenen Schritte haben zwei weitere fatale Wirkungen, die zwar nicht unbedingt von der Politik beabsichtigt sind, aber problemlos in Kauf genommen werden. Zum einen wird die bereits jetzt extrem hohe soziale Selektivität des Bildungssystems noch weiter erhöht (...). Jede Gebühr bewirkt tendenziell, dass Menschen gleich vom Studium abgeschreckt werden und die Studis noch mehr jobben müssen, um sich ihr Studium zu finanzieren. Nebenjob, schlechte Studienbedingungen oder einfach persönliche Anforderungen (z.B. Kind) stellen uns schnell vor die Situation länger studieren zu müssen. Werden jetzt Langzeitgebühren eingeführt, kann das gerade für sozial Schwächere bedeuten, dass sie ihr Studium nicht fortsetzen können (...).

Die Einteilung in Bachelor und Master (...) erzeugt eine Spaltung der Studierenden. Hier eine große Zahl mittelmäßig ausgebildeter Bachelor-Absolventen für die schnelle, kostengünstige Verwertung auf dem Arbeitsmarkt. Dort eine kleine privilegierte Elite wissenschaftlicher Master-Studierender für den Wissenschaftsbetrieb und wirtschaftliche Spitzenpositionen.

Der zweite Effekt der neuen Zwänge betrifft die Veränderung des Selbstverständnisses der Studis. Sie verstehen sich nicht mehr als freie Bürger, die von dem Recht auf freie Bildung Gebrauch machen. Sie werden unter Zeit- und Leistungsdruck gesetzt, entwickeln durch die mundgerechten Lehrstoffe eine Fixierung auf ihr Fach und legen eine Ellenbogenmentalität an den Tag (...).

Zum Schluss noch einmal zu den unsäglichen 50 Euro. Es sollte inzwischen bei jedem und jeder angekommen sein, dass die Einnahmen daraus nicht der Uni zu Gute kommen. Es wird ihr genauso viel aus dem Etat gestrichen, wie ihr aus den Gebühren zufließt (...). Natürlich ist Bremen arm, im föderalistischen System, der EU und der Globalisierung von anderen Kräften abhängig und die deutsche Wirtschaft sowieso in der Krise. Trotzdem sind enorme gesellschaftliche Reichtümer vorhanden, sie sind nur extrem ungleich verteilt. Es kommt also erstens darauf an, alle Bürger und Unternehmen gerecht zu besteuern. Zweitens muss das Geld vom Staat in die richtigen Projekte gesteckt werden. Also nicht in sinnlose Prestigeobjekte, sondern in den Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich. Die Zwänge, denen Bremen angeblich unterliegt, sind nicht unsere Angelegenheit. Wir werden protestieren bis unsere Forderungen umgesetzt wurden.