Hören statt Hüpfen

Beim diesjährigen Hurricane-Festival dominieren hoch gehandelte Elektronika

Es wird nicht so voll in diesem Jahr in Scheeßel. Vielleicht liegt es an der Auswahl an Headlinern, die am kommenden Wochenende einen Besucher-Rückgang bescheren wird. Denn keine Rock-Superstars posieren, wie im Vorjahr die Red Hot Chili Peppers, als sich gut 52.000 Fans auf dem regennassen Gelände drängten und das „Hurricane“ damit zum größten deutschen Festival des Jahres machten. .

Mit etwa 40.000 Zuschauern rechnen die Veranstalter diesmal. Dafür wird an drei statt wie bisher an zwei Tagen getanzt, gefeiert und campiert. Und das ohne wesentliche Erhöhung des Ticketpreise

Ein Blick auf das Line-Up zeigt, dass es erstaunlich ruhig zugeht: Die großen Hüpf-Bands fallen aus, dafür sind hoch gehandelte Elektronika sind stark präsent. An den Gitarren gibt es eher gesetztere Töne und edles Songwriting für ältere Semester. Der Freitag startet auf der kleinen Bühne im Zirkuszelt mit exquisiten Acts: Gus Gus mit ihren besonnenen Klangfeldern, die schwelgerischen Edelfedern Goldfrapp, die Portishead-Diva Beth Gibbons auf ihrem betörenden akustischen Soloausflug mit Talk Talk-Visionär Paul Webb und schließlich die isländischen Kritiker-Darlings Sigur Rós mit fragilen Tüfteleien. Altgedient geht es derweil auf der Hauptbühne zu: mit der überlebten Füllband Therapyoder, den melodisch-braven Britpoppern Starsailor. Danach werden Tocotronic schrammeln – eingesprungen für Billy Corgans Band Zwan, die kurzfristig abgesagt hat. Headliner sind die englischen Gitarrenpop-Pathetiker Coldplay, die Gewinner des letzten Jahres. Ihre Vorhut im Geiste, Travis, haben sie im Rückspiegel zurückgelassen.

Den Weckdienst am Sonnabend übernimmt MTVs Markus Schultze mit Underwater Circus. Danach können Freunde der Stromgitarre den Kopf schwingen zu den Jeans-Rock’n Rollern The Datsuns, den Wüsten-Stonern von Fu Manchu und den Traditionsrockern The Hellacopters.

Doch auch die Pleite des Abends wartet: Die inzwischen personell eingedampften Massive Attack waren schon vor vier Jahren niederschmetternd langweilig – nun werden sie als Headliner das wohl langweiligste Album des Jahres vorstellen. Schade, dass für diese Handbremse unter den Elektro-Großacts die wunderbare Björk bereits um 22 Uhr auftreten muss. Mund-Offen-Momente wie noch 1998, als sie im weißen Kostüm die „Hurricane“-Bühne beschritt und bis tief in die Nacht sang, wird es also nicht geben.

Am Sonntag wird Pete Yorn ersatzlos ausfallen, ansonsten darf getanzt werden: Im Zelt bei der Hamburger Allstar-Truppe International Pony, Console, Moloko und dem Hamburger Songwriting-Frohgeist Patrice.

Auf der Hauptbühne pumpen die Elektronik-Rock-Helden Underworld und Asian Dub Foundation. Bleiben als würdiger Abschluss die britischen Feingeister Radiohead, die sich nach ihrer trotzigen Abkehr vom jüngergleichen Fankreis nun wieder mit dem Publikum anzufreunden scheinen. Hymnisch ist ihr neues Album, spannend zu sehen, ob sie erneut zum geliebten Gitarren-Genie-Act werden können. Volker Peschel

20.-22.6., Eichenring Scheeßel. Infos und Programm: www.hurricane.de