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Archiv-Artikel

Ein Kichern im Blick

Zerschnittene Kleider, Akt mit Fliegen, die Liebe zu John Lennon: In einer Retrospektive der NGBK und im fsk werden die Filme von Yoko Ono gezeigt

Die Uneindeutigkeit ist bei Ono ganz der Idee von Fluxus verpflichtet

von HARALD FRICKE

Ihre ersten Erfahrungen mit Kino hat Yoko Ono in einem B-Movie gemacht. 1965 spielte sie in Michael Finlays „Satan’s Bed“ eine junge Japanerin, die nach New York zieht, von einem Mafiaboss gekidnapped wird und so zwischen die Fronten von Mobstern und Drogendealern gerät. Das ist ein ungewöhnliches Debüt für eine feministische Künstlerin, die gegen weibliche Rollenzuschreibungen anging. Doch der Hang zu Exploitation passt gut in die Sixties, als sich die Gemengelage aus Low-Budget, Trash und Underground noch nicht vollends entwirrt hatte.

Die Retrospektive mit dreizehn Filmen von Ono, die nun im NGBK und als Blockprogramm im fsk zu sehen ist, zeigt dagegen, wie kontinuierlich die 1933 geborene Künstlerin ihre Themen und Formen entwickelte. Auf einem angenehm klar gegliederten Parcours aus Videoprojektionen und Monitoren, dazu Vitrinen mit Scripts und unverwirklichten Entwürfen, wird man durch das filmische Werk geschleust, das Chrissie Iles einmal als „erotischen Konzeptualismus“ bezeichnet hat. Schon am Eingang grüßt eine Armada blanker Hintern, die für „No. 4 (Bottoms)“ von 1967 auf der Stelle flanieren. Im Hintergrund wird ein bisschen gekichert, den Akteuren ist die Nacktheit peinlich, doch das gibt sich mit der Zeit. Dann sieht man nur noch eine Struktur aus Fleisch und Behaarung, eine Dreiviertelstunde Körperpsychedelik.

Immer wieder geht es Ono darum, möglichst nah an die Grenze zu kommen, an der Voyeurismus und Intimität, öffentliche und private Person ineinander verschwimmen. Natürlich ist dieser Weg eng an die biografischen Vorgaben gebunden, stand Ono seit ihrer Heirat 1969 mit John Lennon doch ganz oben auf der Celebrity-Liste. Den Anfang macht allerdings eine ungeheuer disziplinierte Performance, lange vor ihrer Liebe zum Beatle. Für „Cut Piece“ ließ sich Ono 1965 auf einer Bühne von den Gebrüdern Maysles filmen, die später mit „Gimme Shelter“ auch das Konzert der Rolling Stones in Altamont dokumentierten, bei dem ein junger Afroamerikaner vor der Bühne – und vor laufender Kamera – von Hell’s Angels ermordet wurde. Das Opfer in „Cut Piece“ bleibt zum Glück symbolisch: Ono hatte im Publikum die Anweisung verteilt, ihr die Kleidung vom Leib zu schneiden. Im Film sieht man, wie bereitwillig vor allem männliche Zuschauer dieser Aufforderung folgten. Ein studentischer Typ um die zwanzig mag die Schere gar nicht mehr aus der Hand legen, während Ono still und etwas ängstlich die Cut-off-Prozedur über sich ergehen lässt.

Erst als sie die Fetzen ihrer Unterwäsche nur noch mit Mühe halten kann, wird die Performance abgebrochen. Was wie eine künstlerische Spassaktion beginnt, entpuppt sich als schonungslose Entwürdigung, bei der der Horror des „bloßen“ Blickobjekt-Seins, wie es der Wiener Kritiker Christian Höller nennt, auch im Gesicht von Ono sichtbar wird. Dennoch ist sie damit nicht allein Spiegel einer duldsamen Weiblichkeit, sondern zugleich Projektionsfläche für diffuse Bemächtigungsfantasien, die eben nicht an ein bestimmtes Geschlecht gekoppelt sind. Auch Frauen machen bei „Cut Piece“ mit. Sie trennen zwar ein wenig vorsichtiger den Kragen ab und verschonen Onos BH. Aber immerhin, sie schneiden.

Solche Unwägbarkeiten anstelle von exakt abgesteckten Differenzen finden sich bei Ono häufig. Es scheint, als gehörte die Uneindeutigkeit zum Programm, ganz der Idee von Fluxus verpflichtet. Ähnlich wie Valie Export mit ihrem Tapp- und Tastkino, bei dem sich das Publikum am Busen der Künstlerin zu schaffen machen durfte, setzt Ono auf die Handlungsbereitschaft der BetrachterInnen. Statt der strikten Trennung zwischen Geschehen und Rezeption ist Selbstwahrnehmung gefragt: Wie verändert sich mein Blick, wenn ich Gesten der Gewalt, das Spiel mit der Hilflosigkeit sehe?

Zwei Filme stechen bei diesem Experiment in Sachen subjektiver Erfahrung besonders hervor: In „Fly“ (1970) filmt die Kamera 25 Minuten eine Frau, auf deren Körper unentwegt Fliegen landen, krabbeln, tanzen. Stets sind die Einstellungen auf Ausschnitte fokussiert – die Achselhöhle, das linke Augenlid, eine Brustwarze, der Schambereich. Dabei gleicht das Modell mit dem schönen Namen Linda Lust einer begehbaren Skulptur, die zum Objekt der Fliege mutiert, während Ono auf der Tonspur das Gesumme heisern krächzend imitiert. Am Sound orientiert sich auch die Aufmerksamkeit, nach wenigen Augenblicken schwindet das Interesse, mit dem man zuvor den scheinbar leblosen Körper betrachtet hatte. Er wird zum Ambiente, in dem sich das Tier wie in einer natürlichen Umgebung bewegt.

Prompt ist man in der Falle der Vergegenständlichung: Erinnert das Szenario nicht an ein Leichenschauhaus? Oder ist die nackte Passivität womöglich ein Verweis auf die vielen Frauenakte innerhalb der Kunstgeschichte, von Courbet bis Picasso und Marcel Duchamp? Wieder erzeugt Ono mit vermeintlicher Gleichgültigkeit in der Darstellung eine extreme Spannung, indem sie die Übergänge zwischen Subjekt und Objekt fließend hält. Das Gleiche gilt für den Film „Rape“, der 1969 gemeinsam mit John Lennon für das österreichische Fernsehen produziert wurde. 77 Minuten lang verfolgt der Kameramann Nick Knowland eine junge Frau (Eva Majlath), dringt in ihre Wohnung ein und verursacht beinahe einen Verkehrsunfall. Ob es sich um Spielszenen oder eine Reality-Doku handelt, wird nie aufgelöst. Nur das Gefühl der Bedrohung wächst, bis Majlath schließlich die Nerven durchgehen.

Für Lennon und Ono war „Rape“ ein Kommentar auf ihr Verhältnis zu den Medien. Die legendären 15 Minuten Berühmtheit, die der Schauspielerin im Film zur Last werden, führten bei Lennon in den Tod. Damals hatte Ono auf das Attentat mit der Wut der Verzweiflung reagiert und das Foto der blutverkrusteten Brille ihres ermordeten Mannes aufs Cover der LP „Seasons of Glass“ gesetzt. Die Plattenfirma fand es geschmacklos, für Ono war das Bild der Ausdruck einer unhintergehbaren Wirklichkeit: „This is what John is now“, soll sie gesagt haben.

Was Lennon im Leben für sie war, sieht man in „Film No. 5 (Smile)“, der 1968 gedreht wurde und in 51 Minuten Zeitlupe zeigt, wie sich über das leicht schmollende Gesicht ein schnippisches Lächeln legt. Ursprünglich war der Film sogar auf vier Stunden angelegt, wie „Doktor Schiwago“. Nicht um Lennon einmal mehr größer als Jesus zu machen. Sondern, weil Film für Ono gerade keine Überhöhung des Lebens sein sollte. Nur ein Gruß aus dem Alltag. Empfänger unbekannt.

Yoko Ono: Film Works / Filme / Seen and Unseen; bis 6. 7., tgl. 12 –18.30 Uhr, NGBK, Oranienstr. 25; bis 25. 6., 18 Uhr, im fsk, am Oranienplatz