PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Bärlauch-Kochbuch oder Berg-Karabach

Fast wäre ich und fast hätte ich. Aber eben nur fast. Doch beim nächsten Mal klappt es dann bestimmt

Vor zwei Wochen rief mich ein durchaus bekannter Verlag an und fragte, ob ich innerhalb von drei Monaten ein Buch schreiben könnte. Thema: „Die verzagte Nation“. Der Titel könnte auch „Die enttäuschte Nation“ oder „Deutschland am Boden“ heißen. Wichtig sei nur, dass es provokante Thesen enthalte und zur Buchmesse in Leipzig fertig sei. Ich hätte auch zugesagt, wenn mich jemand gebeten hätte, einen Ratgeber über Schlafstörungen oder ein Bärlauch-Kochbuch zu schreiben. Mir ist es nämlich ziemlich egal, über was ich schreibe. Hauptsache, es wird gelesen und die Schlusspointe wird nicht gekürzt.

Sogar den „Jahresbericht der Bundesregierung“ würde ich formulieren. Jedenfalls sollte ich es tun und war vergangenen Sommer schon zum Gespräch ins Bundespresseamt eingeladen. Die Herren, halt, eine Dame war auch dabei, hörten mir mit verwunderter Miene zu, als ich Ihnen erklärte, wie viel lockerer man den Jahresbericht schreiben könne, ohne dass deshalb die Regierung stürze.

„Ja“, sagte ich in die Runde der Abteilungs- und Hauptabteilungsleiter, man dürfe bei der Lektüre eines solchen Berichts „durchaus auch einmal schmunzeln“. Sofort meldete sich ein junger, eifriger Mitarbeiter aus dem Bundeskanzleramt: „Wir müssen darauf achten, dass man nicht über die Regierung schmunzelt, sondern immer nur mit der Regierung.“ Ein wahres Wort zur rechten Zeit. Und so wurde dann doch wieder nichts aus meiner Karriere als Regierungsautor. Aber von jenem Nachmittag im Sommer letzten Jahres, wo ich, ohne ein Glas Wasser angeboten zu bekommen, zwei Stunden lang in der Mittagshitze den Herren und einer Dame mein Konzept erklärte, zehre ich mental noch bis heute.

Vieles in meinem Leben ist nur fast etwas geworden. Einmal, ich erinnere mich, hätte ich fast den belgischen König vom Thron gestürzt. Ich hatte Polizeiprotokolle in die Hand bekommen, wonach König Albert in jungen Jahren an Sexorgien mit Minderjährigen teilgenommen haben soll. Zumindest war ich mir sicher, dass nach Erscheinen meines Berichts der belgische Königsthron wackelte. Aber das Herrscherhaus dementierte nicht einmal. Die königliche Familie ignorierte mich nicht einmal. Seine Majestät tat gar nichts, blieb einfach auf seinem Thron sitzen, und mein Skandal verpuffte wie ein Elefantenfurz.

Hatte ich an dieser Stelle eigentlich schon einmal erzählt, dass ich fast reich geworden wäre als „Direktor“ der armenischen Nachrichtenagentur „Armenpress“ für den gesamten deutschsprachigen Raum? Der Vertrag, der mir die exklusiven Verwertungsrechte aller aus Armenien stammenden Nachrichten sicherte, liegt noch heute in einer meiner Schreibtischschubladen. Ich hatte ihn in Erivan unterschrieben, in der Gewissheit, dass die Meldungen, die dann per Telex auch tatsächlich jeden Tag in meinem Tübinger Wohnzimmer einliefen, von den Zeitungen hierzulande mit großem Interesse und gegen gutes Honorar zur Kenntnis genommen würden. Drei Monate lang schickte ich die brandaktuellen Nachrichten über gestiegene Brotpreise in Armenien, über den Besuch ausländischer Staatsgäste oder Schießereien auf Berg-Karabach hinaus in die Redaktionen. Der Südkurier in Konstanz veröffentlichte tatsächlich einmal 15 Zeilen über einen tödlich verlaufenen Grenz-Zwischenfall und überwies zwölf Mark und fünfzig Pfennig. Es bleib meine einzige „exklusive“ Meldung aus Armenien.

Vielleicht nur so viel, warum ich es heute nicht als Schande betrachte, für Zeitschriften wie Der Bestatter, Fachorgan des deutschen Bestattungswesen, oder das Tübinger Wochenblatt zu schreiben. Gedruckte Buchstaben sind nicht wirklich wichtig.

Übrigens wurde natürlich auch nichts aus dem Buchprojekt „Deutschland am Boden“. Der Verlag rief drei Tage später an, man habe sich alles anders überlegt. Auch recht. Jetzt warte ich auf den Auftrag „Die mutigen Deutschen. Wie alles wieder aufwärts geht“. Ein Sachbuch.

Diese Kolumne ist B. gewidmet, für die ich fast meine Frau verlassen hätte.

Fragen zu B.? kolumne@taz.de Montag: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA