Likud-Basis lässt Scharon schmoren

Israels Premierminister Ariel Scharon hat die Abstimmung seiner Likud-Partei über den geplanten Abzug aus dem Gaza-Streifen zur Vertrauensfrage erklärt. Doch die Umfragewerte sehen nicht gut für ihn aus, die Stimmung scheint gekippt zu sein

Scharons Rücktrittsdrohung nimmt niemand wirklich ernst

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Die 193.190 Mitglieder der regierenden Likud-Partei sind am kommenden Sonntag aufgerufen, ihre Stimme zum geplanten einseitigen Abzug aus dem Gaza-Streifen abzugeben. Premierminister Ariel Scharon gibt sich siegessicher, doch die letzten Umfragen sind alles andere als ermutigend. 47 zu 39 Prozent gegen den Abzug, 14 Prozent noch unentschieden, so schreibt die auflagenstärkste Tageszeitung Yediot Achronot. Etwas enger ist das Ergebnis der Umfrage des Maariw. „Ich werde siegen“, sagte Scharon gestern gegenüber der Stimme Israels. Er wolle nicht an andere Möglichkeiten denken, die „einen Sieg für Arafat und die Hamas“ bedeuteten. Um den Druck auf die Parteimitglieder zu verstärken, machte er die Abstimmung auch zu einem Vertrauensvotum. „Man kann nicht für mich sein und den Plan, den ich vorantreibe, ablehnen.“

Noch vor zwei Wochen schien niemand zu fürchten, dass die Abstimmung negativ ausgehen könnte. 54 Prozent für Scharon, der zuvor im Weißen Haus mehr erreicht hatte, als sich die meisten Israelis und sicher die Palästinenser hätten träumen lassen. US-Präsident George W. Bush gab seinem Amtskollegen aus Jerusalem volle Rückendeckung. Im Gegenzug für den Abzug versprach er ihm Garantien dafür, dass es kein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge geben wird und dass die endgültigen Grenzen nicht entlang der Waffenstillstandslinie vor Beginn des Sechs-Tage-Krieges 1967 verlaufen sollen. Beide Punkte sind laut allen bisherigen Friedenspläne, inklusive der internationalen „Road Map“, Angelegenheit der End-Status-Verhandlungen.

Kaum war Scharon zurück in Israel, bekam der Plan innerhalb des Likud zum zweiten Mal Aufwind, als israelische Kampfpiloten den Hamas-Chef Abdel Asis Rantisi in Gasa liquidierten. 30 Prozent der Parteimitglieder erklärten anschließend, dass sie nun „eher für den Abzugsplan“ stimmen würden als zuvor. Nur nicht als Besiegte das besetzte Land verlassen, so die Stimmung in der Partei. Die Aufgabe dürfe auf keinen Fall als Kapitulation interpretiert werden. Verständlich wäre der Umschwung der ambivalenten Parteimitglieder, hätte es seither einen palästinensischen Anschlag gegeben. Doch das war nicht der Fall.

Eine „lausige Kampagne“ sei schuld an der sich in den Umfragen andeutenden Wende, so die parteiinterne Kritik vor allem auch gegen Omri Scharon, Abgeordneter und mit der Vermarktung des Plans beauftragter Sohn des Premierministers. Er habe sich zu sehr auf das Image seines Vaters konzentriert und dabei „klare Botschaften vernachlässigt“. Mit Scharon als Zugpferd zu agieren schien zunächst richtig: 50 Prozent der gesamten israelischen Öffentlichkeit stützten den Plan, 56 Prozent wären es, wenn Scharon den Abzug befiehlt. Eine sensationelle Entwicklung, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Amram Mitzna, Kandidat der Arbeitspartei mit genau dem einseitigen Abzugsplan, den Scharon sich nun zu Eigen macht, vor gut einem Jahr die größte Wahlschlappe einhandelte, die seine Partei jemals einstecken musste.

Zweifellos waren die Gegner des Abzugs besser organisiert. An jeder Straßenkreuzung standen in den vergangenen Tagen die jungen Aktivisten der Siedlerbewegung, um Auto-Sticker zu verteilen. Über 70.000 zumeist religiöse Demonstranten statteten zudem am Unabhängigkeitstag diese Woche den Siedlern im Gaza-Streifen einen Solidaritätsbesuch ab.

Scharon bleiben bis zur Abstimmung nicht mehr allzu viele Überzeugungsmaßnahmen. Schon spekulieren politische Beobachter über die mögliche Liquidierung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat als letzten Zug der Kampagne. Die Drohung seines Rücktritts als Regierungschef, sollte die Partei ihn nicht stützen, wird vorläufig kaum ernst genommen. Für den Abzugsplan bedeutete es zumindest ein vorübergehendes Auf-Eis-Legen. Zwar erinnerte Justizminister Tommi Lapid (Schinui) daran, dass die parteiinterne Abstimmung „für die Regierung nicht bindend ist“, und appellierte, den politischen Plan dem Kabinett und Parlament vorzulegen. Doch zum einen hat Scharon sich seiner Partei gegenüber verpflichtet, zum Zweiten sind ohne positive Parteientscheidung kaum Mehrheiten in Knesset und Kabinett zu erwarten.