Türkische Reformen

Ankara will in einem weiteren Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft die Staatssicherheitsgerichte auflösen

ISTANBUL taz ■ Die türkische Regierung hat beschlossen, die berüchtigten Staatssicherheitsgerichte abzuschaffen. In einem neuerlichen Reformpaket, das am Mittwoch dem Parlament zugeleitet wurde und in dem mehrere Verfassungsänderungen vorgesehen sind, ist die Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte der wichtigste Punkt.

Diese Sondergerichte waren nach dem Militärputsch 1980 eingeführt worden und dienten hauptsächlich dazu, alle oppositionellen Regungen im Lande zu unterdrücken. Während in den ersten Jahren nach dem Putsch vor allem die Linke mit Hilfe der Staatssicherheitsgerichte zerschlagen wurde, dienten die Sondergerichte seit 1985 vor allem zur Unterdrückung der kurdischen Opposition. Tausende Kurden wurden vor den Staatssicherheitsgerichten zwei Jahrzehnte lang wegen vermeintlicher separatistischer Bestrebungen verurteilt, selbst wenn sie sich lediglich ihrer Sprache bedienten oder ihren Kindern kurdische Namen gaben.

Prominentestes Opfer der Staatssicherheitsgerichte ist Leyla Zana, kurdische Parlamentsabgeordnete, die 1994 wegen angeblicher Unterstützung der kurdischen Guerilla PKK zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Ihr Wiederaufnahmeverfahren endete vor einer Woche mit einer Bestätigung des ursprünglichen Terrorurteils, eine Entscheidung, die die Regierung endgültig davon überzeugte, die Sondergerichte abzuschaffen. 1999 war bereits beschlossen worden, dass den Gerichten keine Militärs mehr vorstehen dürfen.

Außenminister Abdullah Gül kündigte an, man werden innerhalb kürzester Frist die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, um Zana und die drei anderen früheren kurdischen Parlamentsabgeordneten, die mit ihr zusammen verurteilt worden waren, freizulassen. „Während Mörder längst amnestiert wurden, sitzt Frau Zana immer noch im Gefängnis. Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun“, so Gül. Die türkische Regierung reagiert damit auch auf die Kritik des Europäischen Parlaments und will auf jeden Fall verhindern, dass Leyla Zana, die für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen ist, womöglich im Gefängnis den Preis bekommt.

Zu den angestrebten Verfassungsänderungen gehören die Feststellung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ sowie das Verbot der Todesstrafe. Da die Verfassungsänderungen auch von der Opposition unterstützt werden, wird das Erreichen der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit wohl kein Problem werden. Die Reformen sind ein weiterer Schritt in Richtung der angestrebten EU-Mitgliedschaft. JÜRGEN GOTTSCHLICH