Der Abwarter: Jürgen Rüttgers

Während sich NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück am 1. Mai in Köln ausbuhen ließ, spielte der konservative Oppositionsführer den einfachen Ball. Ein Jahr vor der Landtagswahl geht Jürgen Rüttgers kein Risiko mehr ein

Jürgen Rüttgers ist schlau. Der CDU-Landeschef geht am 1. Mai nicht nach Köln und lässt sich von Linken auspfeifen und niederbrüllen – wie NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD). Jürgen Rüttgers fährt zur Maidemonstration lieber nach Bocholt. In der münsterländischen Provinzstadt pfeift niemand, als der christdemokratische Oppositionsführer bei der DGB-Maikundgebung spricht. Im Vorfeld der Veranstaltung hatte es ein paar Proteste von linken Gewerkschaftern gegeben. Warum denn ausgerechnet ein Konservativer am Kampftag der Arbeiter spreche, wollten kritische Kollegen von Verdi wissen. Trotzdem stört niemand Rüttgers‘ Auftritt an diesem sonnigen Tag.

Rüttgers wartet im Vorhof eines alten Industriemuseums auf seinen Auftritt. Er sitzt auf einer aufklappbaren Holzbank. Er ist locker. Ein Alleinunterhalter macht Musik auf einer Elektro-Orgel. Rüttgers wippt ein bisschen mit bei dem alten Elvis-Presley-Song, der gecovert wird: „Return to sender.“ Rüttgers trinkt Apfelschorle aus einem großen Bierglas. Die Getränke sind frei, hat der örtliche DGB-Vorsitzende gerade gesagt. Trotzdem sind nur knapp 100 Menschen gekommen, um Rüttgers zu hören. Rüttgers hat ein Heimspiel vor schwacher Kulisse. Im CDU-regierten Bocholt muss er nicht mit linken „Störern“ rechnen. Nur wenige Arbeiter nehmen an der Kundgebung teil. Dafür klatschen in der ersten Reihe zahlreiche lokale CDU-Politiker besonders eifrig, als Rüttgers ans Mikrofon tritt.

„Ich gehöre nicht zu denen, die den Flächentarifvertrag abschaffen wollen“, sagt Jürgen Rüttgers in seiner Rede. Die Kundgebungsteilnehmer klatschen höflich. Der 52-Jährige versucht sich als mitfühlenden Konservativen darzustellen – als Mann, den auch Gewerkschafter wählen könnten bei der Landtagswahl im Mai 2005. Dafür bekommt Rüttgers in Bocholt Applaus. Indirekt distanziert sich Rüttgers von CDU-Gewerkschaftsgegnern wie Friedrich Merz. „Die Gewerkschaften sichern den sozialen Frieden“, sagt Rüttgers und lobt die örtliche IG Metall, weil sie sich in Bocholt so pragmatisch einsetze für den Erhalt von Arbeitsplätzen beim Handy-Produzenten Siemens.

Jürgen Rüttgers spielt den einfachen Ball. In Bocholt. Auch im Landtag. Der Spitzenkandidat der CDU will 2005 Ministerpräsident werden. Dem ordnet der dreifache Familienvater alles unter. Kontroverse Meinungsäußerungen vermeidet er. Zur Kanzlerkandidatenfrage in der Union schweigt er sich aus. Und seine Parteifreunde hat er kürzlich vor zu viel Euphorie gewarnt. Die CDU liegt in den Umfragen rund 15 Prozent vor der SPD. Rüttgers weiß: Das heißt nicht viel.

Vor fünf Jahren sah Rüttgers schon einmal aus wie der sichere Wahlsieger. Dann kam Helmut Kohl und die CDU-Spendenaffäre. Die SPD gewann die Landtagswahl 2000. Rüttgers freut sich deshalb nicht zu früh. Rüttgers wartet ab. Die Rede in Bocholt ist vorbei. Rüttgers bekommt elf Sekunden Applaus. Er trinkt noch einen Schluck Apfelschorle. Er lacht zufrieden. MARTIN TEIGELER