SPD-Münte erdrückt

Frank Castorf diskutierte am Samstag mit Franz Müntefering – der Theatermann erntete tosenden Applaus, der Politiker bürgerlichen Unmut

Wie kann man Solidarität mit diesem Staat verlangen, wenn sich hier offensichtlich selbst bereichert wird?

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Irgendwann machte Frank Castorf einen geradezu gelangweilten Eindruck. Minuten lang war er schon nicht mehr zu Wort gekommen, Minuten lang hatte er sich anhören müssen, wie der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering vom Publikum rhetorisch malträtiert und als „Lump“ und „Lügner“ bezeichnet wurde. Münte versuchte das gelassen zu überspielen und genösselte sich durch die Diskussion. Munter duzte er das Publikum, rechtfertigte sich und die Politik seiner Kollegen – unter anderem damit, dass es zu wenige in der Gesellschaft gebe, die bereit seien, mit anzupacken. Dafür bekam er dann wieder eins drüber.

Der neue Festspiel-Leiter Castorf hatte Müntefering am Samstag zum Kulturvolksfest ins Recklinghäuser Ruhrfestspielhaus eingeladen, um mit ihm über das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele zu diskutieren – „No Fear“. Den Verlauf des Gesprächs schien sich der Regisseur aber anders vorgestellt zu haben: „Ich wusste gar nicht, dass ich auf einer SPD-Veranstaltung bin“, sprach Castorf, als er gerade wegzunicken drohte. Die Hierarchie war zu diesem Zeitpunkt längst kollabiert. In der Regel blicken Politiker von der Bühne auf das Volk hinunter. Im Festspielhaus aber steigt der Zuschauer-Raum so steil an, dass Münte von seinen Wählern förmlich erdrückt wurde. Von den obersten Rängen wirkte der SPD-Mann wie ein mickriger Punkt, wie einer, der den Löwen in der Arena zum Fraß vorgeworfen wurde. Die Menschen nutzten diese Situation weidlich aus. Von Angst keine Spur – „No Fear“ eben.

Es war nicht das Wochenende der Politiker: Schröder wird in Oberhausen ausgebuht, Steinbrück bricht in Köln seine Rede zum 1. Mai ab, weil die Pfiffe sein Trommelfell schmerzen. Auch Müntefering bekam den bürgerlichen Unmut zu spüren. Die Menschen sind sauer auf jene Herren, denen sie einst die Macht übertragen haben. In Castorf hingegen haben sie einen gefunden, der ihnen aus der Seele spricht. Es herrsche eine „Asozialisierung der Arbeitslosen“, sagte Castorf. Obwohl es fünf Millionen davon gebe, würde nur kaum noch mit ihnen gesprochen. „Wie kann man Solidarität mit diesem Land verlangen“, spielte Castorf auf die jüngsten Finanz-Skandale an, „wenn sich in diesem Staat so offensichtlich selbst bereichert wird?“ Josef Ackermann, der Vorstands-Chef der Deutschen Bank, laufe „wie Michael Jackson in den Gerichtssaal“, mit gelüftetem Victory-Zeichen. Und Ex-Mannesmann-Chef Hartmut Esser, ein weiterer Herr aus aus der Geldgier-Riege, glaube sowieso, alles sei erkennbar und beherrschbar. Insofern sei er wirklich ein Marxist. Die Wahrheit sei im deutschen Staat längst abhanden gekommen, sagte Castorf und erntete tosenden Applaus im DGB-Festspielhaus. Münte ertrug das sichtlich geknickt.

Castorfs Konzept bleibt dennoch weiter umstritten. Am Vormittag, bei der offiziellen Eröffnung der Festspiele, mahnte Recklinghausens Oberbürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU), Castorf solle das „traditionelle Publikum“ nicht vergessen. Auch die Bürgerlichen müssten weiter Gefallen am Theater finden. Damit spielte Pantförder wohl auf den Vorabend an, an dem Castorf mit seiner Inszenierung von „Gier nach Gold“ die Festspiele eröffnet hatte. In der Pause waren etliche Zuschauer abgezogen – offenbar arg erzürnt. Als die Menschen nach der Diskussion den Saal verließen, waren sie nicht wütend – zumindest nicht auf Castorf.