Ein bescheidener Interpret seiner selbst

David Byrne in der Passionskirche: College Funk, texanische Heimatklänge, brasilianische Rhythmen. So hört es sich an, wenn aus der kindlichen Freude heraus musiziert wird, all das ausprobieren zu können, was einem Spaß macht

Gerne spricht man in der Popkritik davon, dass ein Musiker seine „wilden Zeiten“ hinter sich gelassen habe und nun „reifer“ oder gar „erwachsen“ geworden sei. Selbst jemand wie Peter Gabriel, der es nie so richtig hat krachen lassen, trägt plötzlich einen Vollbart und stellt eine ganze Tournee unter das Motto „Growing Up“, damit auch wirklich jeder begreift, dass er nun, kurz vor der Pensionsgrenze, mit der Arbeit an seinem „Alterswerk“ beginnt.

David Byrne, der mittlerweile 52 ist und schlohweißes Haar trägt, hat sich offenbar vorgenommen, diese vermeintlich würdevolle Phase zu überspringen. Der Titel seiner neuen CD „Growing Backwards“ klingt eher infantil als erwachsen. Und wenn er am Donnerstagabend zu Beginn seines Konzertes in der Passionskirche auf die Bühne tritt und mit einer linkischen Handbewegung den Musikern des Tosca String Ensembles den Takt vorgibt, wirkt er auch eher wie ein kleines Kind, das zu Hause vor dem Radio Dirigent spielt, als wie ein in die Jahre gekommener Popstar. Spätestens als die sechs jungen Damen und Herren des texanischen Streicherensembles, das zusätzlich zu einer kleinen Band für die Tournee verpflichtet worden ist, eine etwas unbeholfene Interpretation von Verdis „Un di Felice, Eterea“ begleiten müssen, wird klar, dass David Byrne sich bestimmt nicht mit Hilfe eines orchestralen Klangbildes zum Klassiker stilisieren will. Stop making sense: Hier erlaubt sich jemand nur das kindische Vergnügen, vor Publikum all das auszuprobieren, was Spaß machen könnte.

Natürlich hat eine Formulierung wie „Growing Backwards“ auch den unangenehmen Beiklang des „zurück zu den Wurzeln“. Darum ist es nicht die ganz große Überraschung, dass David Byrnes aktuelle CD so ziemlich alle Stilelemente vereinigt, die ihn in den letzten knapp dreißig Jahren als Kopf der Talking Heads, als Solokünstler und als Chef seines Weltmusiklabels Luaka Bop Records beschäftigt haben: College Funk und Gitarrenpop, brasilianische Rhythmen und texanische Heimatklänge.

Auf der Bühne ist von der abgeklärten Nostalgie, die sich hinter dieser musikalischen Bestandsaufnahme verbirgt, erfreulicherweise nur wenig zu spüren. David Byrne zieht sich nämlich über knapp zwei Stunden hinweg vor allem auf die bescheidene Rolle des Interpreten zurück. Es stehen auch wirklich einige Coverversionen auf der Setlist, Cesaria Evoras „Ausencia“ zum Beispiel oder Lambchops „The Man Who Loves Beer“. Doch wenn Byrne im gleichen, distanzierten Tonfall einen „Talking Heads song“ ankündigt, könnte man meinen, dass auch „Once in a Lifetime“ oder „Road to Nowhere“ nur die Songs irgendeiner Band sind, die der nette Herr mit der Gitarre früher einmal ganz gut fand. Erst als er darauf hinweist, dass er „What a Day That Was“ 1981 für Twyla Tharps Musical „The Cathrine Wheel“ geschrieben hat, fällt er kurz aus der Rolle: „So many years ago“, sagt David Byrne und schüttelt irritiert den Kopf. Bei „Psycho Killer“, belässt er es bei dem schlichten Hinweis, dass es sich um ein „altes Stück“ handelt.

Der Refrain aus dem Jahre 1977 klingt auf jeden Fall auch heute noch sehr hysterisch, und so bekommt das Publikum, das auch nicht mehr so ganz jung ist, eine wohldosierte Mischung aus Authentizität und Augenzwinkern: David Byrne, der einen putzigen Designer-Overall trägt, ist in erster Linie ein sehr überzeugender David-Byrne-Interpret. „It will not be any different, it will be exactly the same“, lautete das Versprechen, das die Band, die auf den Namen Talking Heads hörte, einst in einem ihrer Songs formuliert hat. Das Stück heißt „Heaven“ und ist an diesem Abend eine der letzten Zugaben. David Byrne stellt sich dafür ganz alleine mit seiner Gitarre auf die Kanzel der Passionskirche. Näher war er dem Pophimmel noch nie. KOLJA MENSING