Burn-out des Adlers

Sven Hannawald ist dem auf ihm lastenden Druck nicht gewachsen und begibt sich in eine Klinik

VON KATHRIN ZEILMANN

In nur wenigen Worten teilte die Pressestelle des Deutschen Skiverbands am Freitag mit, dass sich der Skispringer Sven Hannawald in einer Klinik behandeln lässt. Er leide unter dem Burn-out-Syndrom, hieß es, wo er behandelt wird, soll geheim bleiben, weitere öffentliche Aussagen wird es zur Krankenakte „Hanni“ zunächst nicht mehr geben. Sein Management ließ zudem wissen: „Hannawald war dem auf ihm lastenden Druck der letzten Zeit nicht mehr gewachsen und hat sich auf Grund dessen auf eigenen Wunsch in eine Spezialklinik begeben.“ Es ist dies ein neues Kapitel in den Krankengeschichten von Sportlern, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Als die deutschen Skispringer am Mittwoch in ihre Saisonvorbereitung starteten, war Hannawald nicht dabei. Er sei erkrankt, hieß es lapidar. „Wir wissen nicht, was es ist – ein Infekt oder irgendetwas“, sagte Cheftrainer Wolfgang Steiert. Mit der Diagnose Burn-out-Syndrom scheint das Rätsel um Sven Hannawald nun zunächst gelöst. Als ein Schatten früherer Tage war er im vergangenen Winter durch den Weltcup geirrt, hatte die Saison völlig entkräftet und vorzeitig beendet. Worin der Grund für diese Formkrise, aus der jetzt eine Krankheit erwuchs, genau lag? Ein Infekt im Sommer, fehlende Vorbereitung auf den anstrengenden Winter? Oder einfach nur eine Schwächephase, die etliche Sportler in ihrer Karriere einmal erleben müssen? Die Erklärungsversuche der DSV-Führung waren vielfältig. Aber schon als Hannawald bei der Vierschanzentournee scheiterte, wurden Diskussionen laut, ob der sensible DSV-Star nicht psychologische Unterstützung bräuchte, um im Leistungssport bestehen zu können. „Wir haben das bisher auch hingekriegt. Wir, das Betreuerteam, sind am nähesten dran an der Mannschaft und können da am besten helfen“, erklärte damals Bundestrainer Steiert. Erst als die Saison schon vorbei war, kündigte man für den kommenden Winter „professionelle Unterstützung“ an. Da war es wohl schon zu spät.

Hannawald schwebte schon immer zwischen den Extremen. So fröhlich, ausgelassen und offen er im Erfolg war, so verschlossen, grüblerisch und zurückgezogen war er im Misserfolg. „Er zieht sich in sein Schneckenhaus zurück. Es ist schwer, an ihn heranzukommen“, stellte Steiert während des vergangenen Winters mehrmals fest.

Im Erfolgsfall war der Mensch Hannawald ja auch stets leicht zu begreifen. Siegte er, so war alles klar: Die Massen verehrten ihn, er wurde zum Teenie-Idol, er klopfte lockere Sprüche („Ich will mein Zeug machen“), die zwar wenig substanziell, für seine Fans aber fast schon Kult waren. Nein, schwierig war das alles nicht, Hannawald passte sich lieber an, anstatt auch einmal eine konträre Meinung kund zu tun. Hannawald lächelte, schrieb Autogramme, gab Interviews, ließ es zu, dass eine Boulevardzeitung eine öffentliche Diskussion über sein Liebesleben anstieß. „Wenn mir jemand sagt, ich soll das und das machen und das leuchtet mir ein, dann mache ich das“, hat er mal gesagt.

Als die Siege ausblieben, wurde es freilich kompliziert. Hanni wurde störrisch, sagte Interviews mit dem Haussender RTL ab, stapfte ohne einen Blick für seine Fans von der Schanze. Hannawald bot stets ein Bild des Jammers, wenn er mal wieder einen Sprung versiebt hatte – und mancher Beobachter fragte sich, ob sportliche Rückschläge tatsächlich mit dem Weltuntergang gleichzusetzen seien. Für einen wie Hannawald aber, der sich fast ausschließlich über seinen Sport definiert und in dessen Leben für wenig anderes Platz ist als für Skispringen, haben sportliche Pleiten eine riesige Dimension. Seine Worte im Februar hätten die Menschen in seinem Umfeld stutzig machen müssen. Der 29-Jährige sprach von „Gedankenwirrwarr“ im Kopf. Er sagte:„Auf der einen Seite will ich alles geben, auf der anderen Seite stellt sich mir die Frage: Was soll das alles?“

Den Trainingsbeginn verpasst Hannawald nun auf alle Fälle. Ob er das Burn-out-Syndrom, das Experten mit dem Verlust der körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit beschreiben, bald überwinden und im Winter wieder springen kann, ist offen – und egal: Für Sven Hannawald steht jetzt die Genesung der Psyche im Vordergrund.