strübel & passig
: 14 Prozent katholisch

Immer wieder hört man, dass die Pornos im Internet die Leute nicht nur komplett wuschig, sondern auch sexueller – auf die schlimme Art – machen. Millionen Euros, so heißt es, gingen jährlich durch Pornosurfen am Arbeitsplatz in die Binsen. Dabei gibt es Angebote, die eine weit größere Gefahr für die Volkswirtschaft darstellen: die Online-Medizin-Seiten mit ihren Tests und Anleitungen zur Selbstdiagnose.

 Wenn man nur lange genug googelt, wird aus dem leichten Ziehen im Nacken ein seltener Tumor mit drei Prozent Heilungschance. Das gelegentliche Flattern im Augenlid wird zum essenziellen Tremor (www.neuro 24.de/ trmor das_erbliche_zittern.htm), die seltene Hochstimmung zur manischen Phase (www.mentaljokes.com/manic_test.html oder www.blue-fountain.com/health/manicdepression.htm), und die Tatsache, dass man am im Morgentran den Nachbarn auf der Straße nicht wahrgenommen hat, zur tragischen Gesichtsblindheit (www.prosopagnosia.com/interactive).

 Betroffen ist man schnell auf diesen Seiten, die in ihrer liebevoll selbst gezimmerten Art so viel Verständnis und schriftlichen Zusammenhalt verströmen. Unter www.hotzehealth-wellness.com/Questionnaires.htm finde ich heraus, dass ich einen niedrigen Testosteronlevel habe. Das hatte ich bereits seit geraumer Zeit vermutet, denn es fiel mir schon immer ungeheuer schwer, eine Erektion aufrechtzuerhalten. Als fast schmerzhaft absurd empfinde ich deshalb den Test auf Erektionsstörungen unter medwell24.at/CDA_Master/1,3008,4029_6376_0,00.html.

 Bevor meine Aggressionen darob überhand nehmen, wechsle ich zu www.psych-net.org/test/anger-test.html und finde heraus, dass ich sehr, sehr wütend bin. Einem nicht kontrollierbaren Impuls (www.psych-net.org/test/impulse-test.html) folgend, gebe ich www.depressiv.de ein. Dass mir der besserwisserische Explorer sagt, diese Adresse gebe es nicht, dafür aber www.expressiv.de, finde ich dann allerdings so lustig, dass ich kurzfristig glaube, ich hätte Humor – ein tragischer Irrtum, wie ein Besuch bei www.queendom.com/tests/minitests/fx/humor.html belegt.

 Ich verliere den Faden, aber die Testreihe für mein offensichtliches Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom unter www.adhd-becalm.com/educ-self-test.html) dauert so lange, dass selbst ein Zen-Meister die Konzentration verlöre. Verzweifelt suche ich Trost, muss dafür aber erst einmal herausfinden, woran ich überhaupt glaube. www.beliefnet.com/features/quiz/ bescheinigt mir chronischen Hardcore-Skeptizismus, akuten Agnostizismus und 14 Prozent katholisches Denken.

 Ich erwäge einen Schizophrenie-Test (www.drgrantmullen.com/Pathway/schizlst.html). Oder einfach meine Therapeutin um Rat fragen? Aber wenn ich ihr sage, dass ich Visionen (dmoz.org/Society/Paranormal/Psychic/ESP/Self_ Tests) davon habe, warum das Gesundheitssystem kurz vorm Kollaps stehe, wird sie mich wohl endgültig als stabile Einkommensquelle verbuchen …  Nein, eine andere Lösung muss her. Gleich morgen Früh werde ich anfangen, das Netz mit beruhigenden Tests zu füttern. Tests, die alltägliche Fragen wie „Bin ich scheiße?“ oder „Habe ich einen an der Waffel?“ oder „Meine Nase tropft, muss ich jetzt sterben?“ stets mit derselben Antwort abschließen: Nein, alles ganz normal bei dir.

 Und falls ich das nicht schaffen sollte, morgen – dann findet sich im Netz ganz sicher eine gute Begründung für meine www.google.de/search?sourceid=navclient&hl=de& q=Antriebsarmut.

IRA STRÜBEL

ira@copysquad.com