Keine Rettung für das Abendland

Auch auf einer Berliner Debatte über den Kopftuchstreit bleiben Plädoyers für mehr Gelassenheit ohne Gehör

BERLIN taz ■ Der kleine Fetzen Stoff hat das Zeug zum Evergreen. Obwohl das Land Berlin bereits ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst angekündigt hat, geht die Debatte in der Hauptstadt unbeirrt weiter. Knallvoll wurde der Saal, in dem taz-Redakteurin Heide Oestreich am Donnerstagabend ihr Buch „Der Kopftuchstreit“ präsentierte, eine Analyse der bundesdeutschen Debatte um „einen Quadratmeter Islam“.

Sowenig mit den Gesetzentwürfen der einzelnen Bundesländer zum Kopftuchverbot erreicht werden wird, so vielsagend ist die Tatsache, dass jede öffentliche Debatte neue Konfliktlinien und Sichtweisen auf die Kopfbedeckung islamischer Frauen offenbart. Ausgehend von der zentralen These, dass zu den Menschenrechten eben auch gehört, dass sich Frauen um den Kopf binden dürfen, was sie wollen, sagte Oestreich bei der Kurzvorstellung ihres Buches: „Ich habe keinen triftigen Grund gefunden, warum kopftuchtragende Lehrerinnen nicht als Beamtinnen auf Probe eingestellt werden sollten, der Staat verfügt über ausreichende Kontrollmöglichkeiten der Verfassungstreue seiner Beamten.“

Dem stimmte Daniel Cohn-Bendit, Grünen-Europaabgeordneter und lautstarker Podiumsteilnehmer, unumwunden zu. „Ich bin Atheist, mir gehen alle Religionen auf die Nerven, aber ein Berufsverbot darf es nicht geben.“ Er gab sich überzeugt, dass das Bundesverfassungsgericht künftig sämtliche Kopftuchverbote der einzelnen Bundesländer „wieder kassieren wird, weil es so nicht geht“.

Zwei der drei Migrantinnen auf dem Podium, die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates sowie die Gewerkschafterin und Lehrerin Sanem Kleff, sprachen sich dagegen für ein Kopftuchverbot aus. Kleff betonte, sie sei für die Abschaffung aller religiösen Symbole in der Schule. Ates lehnte das Tuch als „klaren Ausdruck der sexuellen Fremdbestimmung der Frau“ ab. Es werde durch islamische Väter und Brüder funktionalisiert.

Dass das Kopftuch von Mädchen und Frauen nicht immer freiwillig getragen wird, dem stimmte sogar Emel Algan zu, Kreuzberger Vorsitzende des Muslimischen Frauenvereins in Berlin. Sie ist selbst überzeugte Kopftuchträgerin und entstammt einer Familie mit islamistischem Hintergrund.

Zentraler Streitpunkt der temperamentvollen Diskussion blieb die Frage, ob Verbote im Umgang mit dem Kopftuch nützlich oder kontraproduktiv sind. Grenzen Verbote nicht gerade die integrationswilligen, berufsorientierten Frauen aus? Bestätigen sie nicht die separatistischen Strategien der islamistischen Parallelgesellschaft?

So sagte eine Praktikerin aus dem Publikum, die an einer Kreuzberger Hauptschule unterrichtet: „Bei uns gibt es wegen des Kopftuches keinerlei Probleme, ich plädiere daher für eine unaufgeregte Debatte. Es geht hier nicht um die Rettung des Abendlandes.“ Es half wenig. Die Debatte musste nach zwei Stunden enden – aber nur, weil der Hausmeister im Gewerkschaftshaus pünktlich den Strom abdrehte. ADRIENNE WOLTERSDORF

Heide Oestreich: „Der Kopftuchstreit“. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2004, 15,90 €