berliner szenen Herr der Ringe am 1. Mai

Vater und Sohn

Regen prasselte auf unsere Schirme, nur auf den roten Buttons mit der Zahl 35 lachte die Sonne. Vorne auf der Bühne hatte eben noch die „Müller-Westernhagen-Coverband“ gespielt, jetzt begann die Ansprache eines Gewerkschafters, Thema Osterweiterung. Währenddessen erzählte mir D., seit Jahren IG-Metall-Jugendbildungssekretär, seine Version der Osterweiterung. Neulich hatte sich sein Sohn für 32 Euro einen Beutel mit „Herr der Ringe“-Zinnfiguren gekauft. Bald war er ziemlich enttäuscht darüber, wie wenig Figuren er für das gesparte Taschengeld bekam. „Tja: Produktionskosten sind fast gleich null, wird alles in Polen und Tschechien hergestellt, aber die Unterhaltungsmultis schlagen tausend Prozent drauf“, empörte sich der Vater.

Deswegen war er strikt dagegen, seinem Sohn Geld für neue Figuren zu geben: „Osterweiterung hin oder her – ich bin doch nicht blöd!“ Stattdessen besann er sich auf seine Ausbildung als Metallfacharbeiter. Erst mit Knetgummi, dann mit Silikonkautschuk wurden Abdrücke der Figuren gegossen. Schon waren professionelle Gussformen fertig. „Wir produzieren die Dinger jetzt selbst!“, so der stolze Vater. „Auf dem Flohmarkt kaufen wir dafür alte Zinnteller, weit unterm Materialpreis.“ Dann verwandelte sich das Kinderzimmer in eine Zinnfigurengießerei. „Da haben seine Freunde nicht schlecht gekuckt, als er plötzlich mit 120 Reitern von Rohan ankam!“ Die überschüssigen Figuren vercheckte der geschäftstüchtige Sohn an Klassenkameraden, Stück: drei Euro. „Bei einem Herstellungspreis von unter einem Cent“, lachte der Vater.

Der Regen prasselte, die Ansprache war zu Ende. Vater und Sohn machten sich auf den Heimweg, Hobbits gießen im Kinderzimmer. ANSGAR WARNER