Reue, die nach Gnade schreit

Die deutschen Eishockey-Cracks üben sich nach der 1:6-Pleite von Prag gegen Kanada in der hohen Kunst der Selbstgeißelung. Heute (16.15 Uhr) nun soll die Schweiz im letzten Spiel der Zwischenrunde für das schändliche Versagen büßen

AUS PRAG CHRISTIANE MITATSELIS

Was so eine Niederlage aus harten Eishockeyprofis doch machen kann: Nach dem 1:6 gegen Kanada in der WM-Zwischenrunde in Prag hätten sich die deutschen Nationalspieler, so schien es, am liebsten in Büßerhemden eingekleidet und den Eishockeyschläger gegen eine besonders gemeine Geißel eingetauscht. Einer sah deprimierter aus als der andere – und einer nach dem anderen leistete vor den Journalisten Abbitte. Der traurige Jochen Hecht, Stürmer beim NHL-Klub Buffalo Sabres und Schütze des einzigen deutschen Tores, stimmte ein besonders de- und wehmütiges „Mea Culpa“ an. „Wir haben den Puck einfach nicht von unserem Tor wegbringen können“, sagte er und richtete den Blick zu Boden. Hecht: „Heute war ein Tag, an dem gar nichts geklappt hat. Überhaupt nichts.“ So konnte man das sehen.

Es war tatsächlich das mit Abstand schlechteste Spiel der von Hans Zach trainierten Mannschaft beim Championat in Tschechien. Schon nach dem ersten Drittel lagen die deutschen Kufenflitzer mit 0:3 im Rückstand, waren völlig chancenlos und ergaben sich kampflos in ihr Schicksal. Im Powerplay, der traditionellen Schwäche der Deutschen, wirkte das Team diesmal völlig hilflos, im Unterzahlspiel derart überfordert, dass es Mitleid erregen konnte. Nichts war zu spüren von dem Kampfesgeist, den Zachs Auswahl im vergangenen Jahr im WM-Viertelfinale in Turku an den Tag gelegt hatte, als sie Kanada nach glorreichem Fight erst in der Verlängerung unterlegen war.

Sünderlein Hecht gestand: „Vor dem Spiel habe ich noch gesagt: Die Kanadier haben sich noch nicht als Mannschaft gefunden. Sie haben mich Lügen gestraft.“ Verteidiger Jan Benda fügte hinzu: „So darf man sich international einfach nicht präsentieren.“ So viel Reue schreit nach Gnade – und es scheint, dass die Eishockey-Götter tatsächlich gewillt sind, den deutschen Spielern Absolution zu erteilen. Denn Zachs Mannschaft stand, Wunder über Wunder, trotz des jüngsten Debakels schon mit einer Kufe im WM-Viertelfinale. Nach dem 3:1-Sieg gegen Österreich vom Samstag haben die deutschen Profis drei Punkte auf ihrem Konto. Aus ihrem heutigen Zwischenrunden-Spiel gegen die Schweiz (16.15 Uhr) brauchen sie damit nur noch einen Punkt, um in die K.o-Runde einzuziehen. Bei einem Unentschieden zwischen Österreich und Lettland am Montagabend (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet), wäre die deutsche Mannschaft sogar schon vor der Partie gegen die Alpenbewohner fürs Viertelfinale qualifiziert.

Treffend war deshalb die Analyse von Verteidiger Andreas Renz, der konstatierte: „Gegen die Schweiz geht es um alles oder nichts.“ Und was wollen die deutschen Spieler tun, um gegen die Schweizer zu bestehen, die am Sonntag beim 1:3 gegen die starken Tschechen lange und gut mithalten konnten? Trainer Zach, der 1998 nach nur fünfmonatigem Engagement von den Zürich Lions gefeuert wurde, hat sein Schweiz-Trauma offensichtlich immer noch nicht überwunden: „Sie haben nicht unsere Mentalität“, findet der Tölzer Bade- und Metzgermeister immer noch. Und meint damit: Die Schweizer sind zwar technisch gut ausgebildet, aber können nicht kämpfen wie ein guter, drahtiger Deutscher. Die Vertretung der neutralen Schweiz in Prag drückt es diplomatischer aus. „Vielleicht sind die Deutschen physisch stärker und wir läuferisch etwas besser“, findet der Schweizer Nationaltrainer Ralph Krueger. Sein Assistent Peter John Lee, im Hauptberuf Manager der Eisbären Berlin, meint gar: „Ich sehe diese Unterschiede überhaupt nicht.“

Die Statistik spricht für die deutsche Mannschaft: Ihre letzte Niederlage bei einer WM gegen die Schweiz kassierte sie vor 12 Jahren mit 1:3 im Viertelfinale. Allerdings, und das wird die abergläubischen Eishockey-Spieler beunruhigen, fand das Spiel in Prag statt. Für den Fall des Scheiterns werden sich die deutschen Spieler eine besonders böse Geißel bereitgelegt haben.