Operation am offenen Gesetz

Bei der Gesundheitsreform signalisieren Regierung und Union Gesprächsbereitschaft. Ministerin Schmidt verteidigt ihren Entwurf. CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer bleibt der Sitzung fern

BERLIN taz ■ Regierung und Opposition haben sich gestern im Bundestag gegenseitig erklärt, bei der Gesundheitsreform zur Zusammenarbeit bereit zu sein. In der ersten Debatte über das Gesundheitsreformgesetz bot SPD-Fraktionschef Franz Müntefering der Union an, den Fahrplan der Gesetzgebung zu ändern, wenn sie gleich in die Verhandlungen einsteige. Müntefering mahnte: „Es gibt faule Kompromisse, aber es gibt auch faule Kompromissunfähigkeit.“ Rot-Grün braucht die Zustimmung der Union im Bundesrat.

Auch Unionschefin Angela Merkel war problembewusst: „Wir sind in der Frage des Gesundheitswesens aufeinander angewiesen.“ Immerhin hätten alle das gemeinsame Ziel, die Krankenkassenbeiträge auf 13 Prozent zu senken und dadurch die Lohnnebenkosten zu drücken. Ihretwegen könne man sofort losverhandeln.

Das Gesundheitsreformgesetz, seit Jahren in Planung, wird von Rot-Grün zum ersten und zentralen Bestandteil der Reform-„Agenda 2010“ erklärt. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte gestern, es sei in erster Linie ein Gesetz, das mehr Effizienz im Gesundheitssystem schaffen solle. Die Opposition solle sich in ihrer Haltung nicht zu sehr von den Lobbygruppen beeinflussen lassen: „Das Festhalten an alten Zöpfen und Zünften, das geht nicht mehr.“

Das Gesetz sieht unter anderem vor, das Krankengeld künftig allein von Arbeitnehmern zahlen zu lassen. Familienpolitische Leistungen sollen über eine Erhöhung der Tabaksteuer finanziert werden. Die Standesorganisationen der Ärzte werden geschwächt, Kettenapotheken werden möglich.

Die Grünen beschränkten sich gestern darauf, die Opposition vorzuführen: Es sei unlogisch, der Regierung „Staatsmedizin“ und „Dirigismus“ vorzuwerfen, wenn man gleichzeitig die Pfründen von Ärzten und Apothekern nicht antasten wolle, sagte Grünen-Chefin Krista Sager: „Wenn’s um Ihre Klientel geht, kann Ihnen der Dirigismus nicht weit genug gehen.“

Einer redete gestern im Bundestag nicht: Horst Seehofer. Er war schon zu den abschließenden Gesundheitsberatungen der Union nicht erschienen. Damit protestierte der Unionsfraktions- und CSU-Vize gegen die Einigung von Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber, die zur offiziellen Unionsforderung die Privatversicherung von Zahnersatz erhoben haben.

In n-tv tauchte Seehofer gestern wieder auf und sagte: „Ein Rücktritt war ernsthaft in der Überlegung.“ Inzwischen hätten Merkel und Stoiber ihm das Vertrauen ausgesprochen. Er bleibe jedoch bei seiner Kritik, dass die Zahnersatz-Privatisierung „ein gigantisches Mehr an Bürokratie“ schaffe. Außerdem sei er „prinzipiell dagegen, die Probleme in der Sozialversicherung über Privatisierung zu lösen“.

Auch auf Seiten der Regierungskoalition meldeten sich gestern erste Quertreiber. Der Grüne Werner Schulz kündigte an: „Ich werde mich im Bundestag enthalten.“ Bei Testabstimmungen über das Reformgesetz hatte es bei den Grünen 4 Enthaltungen, bei der SPD 7 Gegenstimmen gegeben. Rot-Grün braucht im Bundestag 302 seiner 306 Stimmen. UWI

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