Unpatriotisch auf Verdacht

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Ismail Hakki war ausgezogen, um den amerikanischen Traum zu leben. Doch nach 14 Jahren im Land of the Free wurde er in sein Heimatland Türkei abgeschoben. Seine Beine waren gebrochen, und bis heute leidet er unter einem schweren Foltertrauma. Hakkis Fehler war, dass er wenige Monate vor dem 11. September in New York einen Gemüseladen eröffnet und ihn „El Hakk Turkish Food Store“ genannt hatte.

Schon kurz nach den Terroranschlägen inspizierten erstmals Männer in Zivil seinen Laden – FBI-Agenten, mutmaßt Hakki heute. In den Morgenstunden des 20. März 2002 wurde der türkische Gemüsehändler und Gelegenheitsjobber schließlich vom FBI festgenommen. Nach stundenlanger Befragung über al-Qaida, Hamas, PKK und Hisbollah landete er schließlich gemeinsam mit zwei ebenfalls verdächtigten Pakistanern im New Jersey Middle Essex County Gefängnis. Auf eine Erklärung für die Festnahme wartet er noch heute.

Dort angekommen, erinnert sich der 43-Jährige, wurde er mit Kaltwasserduschen, Tritten und Schlägen gefoltert. Rund einen Monat lang wiederholten sich die quälenden Szenen. In der käfigartigen Zelle blieben seine Hände und Füße gefesselt. Auf seine wiederholte Forderung nach einem Rechtsbeistand erschien tatsächlich ein Anwalt. Der verlangte zunächst 4.000 Dollar, schrieb einige Briefe, aber nichts geschah. Am 24. April 2002 schließlich wurde Hakki nach 14 Jahren unauffälligen Lebens in den USA in die Türkei abgeschoben. Heute ist der einstige Hotdog-Brater und Abenteurer Traumapatient des Rehabilitationszentrums für Folteropfer in Istanbul.

Seit die US-Regierung dem Terrorismus den Krieg erklärt hat, kämpft sie nicht nur in Afghanistan und im Irak, sondern auch in kalifornischen Bibliotheken, Tauchschulen in Florida und den arabischen Vierteln ihrer Großstädte. Zufällige Opfer, wie Ismail Hakki eines ist, werden in Kauf genommen.

Grundlage des rabiaten Vorgehens der Sicherheitsbehörden ist sowohl die Überzeugung, sich schützen zu müssen, als auch ein virulenter Patriotismus und der so genannte Patriot Act. Der wurde im Oktober 2001 erlassen, als die Schutthaufen des Pentagons und des World Trade Center noch rauchten. Ein Abgeordneter der Demokraten, der ungenannt bleiben möchte, erinnert sich: „Das Papier wurde nachts in geheimer Sitzung von einigen Leuten zusammengeschrieben, keiner von uns Abgeordneten hatte das mehrere 100 Seiten starke Ding gelesen.“ Schließlich stimmten in den frühen Morgenstunden nur ein Senator und 66 Abgeordnete dagegen. „Wer wollte in dieser Zeit schon unpatriotisch sein. Manche beschwichtigten sich damit, dass viele der Regelungen 2005 auslaufen sollen.“

Freibrief für Terrorfahnder

Seit dem Erlass des Patriot Act haben US-Gerichte über 18.000 Durchsuchungsbefehle und Vorladungen allein im Zusammenhang mit Terrorismusverdacht erlassen. Doch neben berechtigten Ermittlungen ermöglicht der Erlass auch die Willkür von Notstandsgesetzen, wie sie schon einmal in der McCarthy-Ära galten. Der juristische Streit, ob die Bush-Administration damit noch auf den Grundlagen eines Rechtsstaates agiert, hat gerade erst begonnen.

Längst ist es für US-Terrorfahnder Usus, Wohnungen, Bankkonten, Arztakten, Mails und Ausleihdaten von Bibliotheken zu checken, ohne dass die Überprüften darüber informiert werden müssen. US-Fluglinien haben ihre Inlandspassagierlisten den Sicherheitsbehörden vorzulegen. Immer wieder kommt es vor, dass Fluggäste einfach am Boden bleiben. So berichtete etwa die San Francisco Chronicle vergangenen Herbst von einem Studentenpaar, das seinen Flug nach Indianapolis nicht antreten durfte. Die beiden erinnerten sich später, Wochen zuvor ihre Namen auf eine Unterschriftenliste gegen die weitere Entsendung von US-Truppen in den Irak gesetzt zu haben.

Gesucht: männliche Muslime

Selbst alberne Schnüffeleien sind im Kampf gegen den Terror an der Tagesordnung. So prüften FBI-Agenten, nachdem sie gehört hatten, dass neben Fliegen auch Tauchen zur Terroristenausbildung gehört, alle zehn Millionen registrierten Namen in US-Tauchschulen. Unter Generalverdacht stehen insbesondere islamische Wohltätigkeitsorganisationen in den USA, die Spenden sammeln. Bereits mehrere Migranten wurden wegen geringer Vergehen zu langjährigen Haftstrafen wegen Terrorfinanzierung verurteilt, weil sich in ihrer Vita Spendenzahlungen – zum Beispiel an das Kinderhilfswerk der Hamas – fanden.

Weiße US-Bürger sind sich dieser hysterischen Überwachungsaktivitäten kaum bewusst. Im Fadenkreuz des FBI befinden sich eindeutig muslimische Männer ab 16 Jahren. Mit dem landesweiten Registrierungsprogramm, dem National Entry Exit Registration System, erfasste das Washingtoner Justizministerium seit September 2002 männliche Migranten aus 25 Ländern, in denen al-Qaida oder andere verdächtige Gruppen aktiv sein sollen. Mit auf der Liste: Indonesien, Eritrea, Somalia, selbst Nordkorea. Um Debatten zu vermeiden, wurde diese Rasterfahndung als regulation – also als Verordnung statt als Gesetz – am Kongress vorbeigeschleust. Bis zum Stopp der Registrierungen im Dezember 2003 – und der verfeinerten Neuauflage unter dem Namen „US Visit Program“ im März 2004 – hatten US-Behörden 290.000 Männer verhört, registriert und ihre Fingerabdrücke abgenommen. Unter ihnen Green-Card-Besitzer, Studenten, Asyl Suchende und Illegale. Dabei kam es zu zahlreichen Festnahmen und anschließenden Abschiebungen, meist wegen Vergehen gegen das Immigrationsgesetz. Keiner wurde wegen Terrorismusverdachts festgenommen.

Selbst der als konservativ geltende Regierungsinspektor General Glenn A. Fine zeigte sich daraufhin beunruhigt. In seinem Zwischenbericht vom April 2003 ließ er 762 Fälle von Festgesetzten in Brooklyn and New Jersey dokumentieren. Die meisten Männer wurden rund 80 Tage festgesetzt, oft unter Hochsicherheitsbedingungen, beanstandete Fine. Das hatte seinen Grund: Nach spätestens 90 Tagen muss ein Fall verhandelt werden. Viele Inhaftierte konnten weder ihre Familien noch Anwälte kontaktieren. Insgesamt sollen bis Dezember 2003 40.000 Männer abgeschoben worden sein.

Die Betroffenen selbst, die rund 14 Millionen arabischstämmigen Migranten in den USA, schweigen lieber. Sie kommen meist aus Ländern, in denen Politik ohnehin ein gefährliches Geschäft ist. Dass sich viele von ihnen auch in ihrer neuen Heimat wegducken, frustriert vor allem Menschen wie Imad Hamad, einen palästinensisch-amerikanischen Menschenrechtsaktivisten in Dearborn Detroit. Die Metropole ist mit rund 400.000 Migranten aus dem Nahen Osten die größte muslimische Community der USA. „Sie glauben, es geht ihnen besser, wenn sie nichts sagen. Schlimmer noch, sie glauben, dass ihr Protest nichts bewirkt“, sagt Hamad.

„Fürchterliche Geschichten“

Hamads Telefon steht seit dem 11. September nicht mehr still. „Ich höre jeden Tag fürchterliche Geschichten“ berichtet er. Ein Libanese zum Beispiel sei neulich von der Polizei verhaftet worden, wegen angeblichen zu schnellen Fahrens, berichtet Hamad. Drei Tage wurde der herzkranke Mann eingesperrt. Weder gab man ihm seine Medikamente, noch bekam er etwas zu trinken. „Stellen Sie sich vor: Er musste aus der Toilette trinken … aber er will sich auf keinen Fall offiziell beschweren. Was soll ich da machen.“ Seit dem 11. September werde von Arabern erwartet, „dass wir Engel sind, dass wir an vorderster patriotischer Front stehen – und selbst da noch peinlich befragt werden dürfen“, ärgert sich Hamad. Er meint, dass das Misstrauen der Regierung gegen arabische Migranten Menschen diskriminiert, die möglicherweise sogar hilfreich im Kampf gegen den Terrorismus hätten sein können. Eines hat der Migrant Hamad in seinen mehr als zwanzig Jahren in den USA immer wieder festgestellt: „Die amerikanische Öffentlichkeit ist die schlechtestinformierte der Welt.“

Diesem Umstand ist es wohl auch geschuldet, dass die Administration kurz nach dem 11. September etliche Maßnahmen zur „nationalen Sicherheit“ ohne Schwierigkeiten durchwinken konnte. So entschied im April 2002 das höchste US-Gericht, der Supreme Court, dass für Nicht-US-Bürger nicht die gleichen Rechte wie für Staatsangehörige gelten – eine Entscheidung, die insbesondere im Umgang mit den rund 600 auf Guantánamo Inhaftierten zum Tragen kommt. Zudem kreierte die Bush-Administration eine neue Kategorie von Staatsfeinden. Diese erlaubt es, selbst Staatsangehörige als „Enemy Combatant“, als feindliche Kämpfer, ohne Anklage oder Rechtsbeistand festzusetzen. Kritikern dieser Regelungen hält Generalstaatsanwalt John Ashcroft entgegen: „Wir verwenden keine neuen, mächtigen Instrumente. Wir wenden nur die schon seit Jahren bestehenden auch im Kampf gegen den Terrorismus an.“

Der scheint so umfassend notwendig, dass sich im Republikaner-Lager schon Stimmen mehren, die die Bestimmungen des Patriot Act in dauerhaft gültige Gesetze umwandeln wollen. Die verschärfte Version, der Domestic Security Enhancement Act, kurz: Patriot Act II, liegt bereits seit Mitte 2003 in Washingtoner Schubladen (Infos dazu unter www.aclu.org und www.dailyrotten .com). Pikant darin ist eine Passage, die vorsieht, selbst US-Bürgern unter bestimmten Umständen die Staatsangehörigkeit aberkennen zu können. Im Kern bedeute dies nichts anderes, als alle US-Bürger ihrer bürgerlichen Rechte zu entkleiden, sagen Sprecher der American Civil Liberties Union (Aclu).

Der Protest kommt zu spät

Immer lauter wird daher in der amerikanischen Öffentlichkeit die Kritik am Vorgehen der Regierung. Die Empörung eint sogar Kritiker an beiden Enden des politischen Spektrums, von der Aclu bis hin zu konservativen Frauengruppen. „Die ganze Sache beängstigt mich“, sagte kürzlich selbst Robert K. Corbin, Expräsident der linken Gedankenguts unverdächtigen National Rifle Association. „Ich vertraue streng in den Bill of Rights, und ich möchte nicht, dass jemand daran herumfummelt.“ Er befürchtet, dass zu viele seiner Landsleute aus Angst vor Terrorismus bereit sind, ihre Freiheiten gegen vermeintliche Sicherheit einzutauschen. „Ich möchte, dass der Bill of Rights funktioniert“, sagt auch der Demokrat Cisco McSorley, Senator aus New Mexico, der im Frühjahr vergeblich versucht hatte, eine Resolution gegen die neue Machtfülle der Regierung durchzubringen. „Aber er wird von dieser Regierung ausgehöhlt.“

Für Ismail Hakki kommt dieser Protest zu spät. „Was ist das für eine Demokratie“, fragte er die Beamten, die ihn zu seiner Abschiebung zum New Yorker John- F. Kennedy Airport eskortierten, „in der Menschen gefoltert werden, wo ihnen die Knochen gebrochen werden und die einfach abgeschoben werden?“ Die Beamten, erinnert sich Hakki, sagten nichts. Sie schauten aus dem Autofenster auf die Skyline von Manhatten.