Grüne Kommandosache

Otto Schily wütet und droht – aber der Innenminister hat ausnahmsweise nichts zu melden. Die Grünen verweigern sich

AUS BERLIN JENS KÖNIG
UND LUKAS WALLRAFF

Niemand war in all den Jahren der mühseligen Zuwanderungsverhandlungen so um eine Einigung bemüht wie Dieter Wiefelspütz. Selbst nach den frustrierendsten Runden äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion immer gut gelaunt und optimistisch. Eine Einigung sei möglich, sagte er monoton. Kritik an den Verhandlungspartnern? Kam ihm nicht über die Lippen. Alles wird gut, wenn man nur will – davon war Wiefelspütz wirklich überzeugt. Gestern Morgen hatte jedoch auch er die Faxen dicke.

Wiefelspütz blieb zu Hause, in seinem Wahlkreis, ging mit seinem Hund spazieren und las einen Krimi. Auf Politik hatte er an diesem Montag keine Lust mehr. Sechzehn Stunden Streit hatte er am Wochenende im Vermittlungsausschuss wieder mal erlebt. Das reichte ihm. Nur ans Telefon ging er noch. Es sei „manchmal niederschmetternd, wie in Deutschland Politik gemacht wird“, sagte Wiefelspütz traurig in den Hörer. Schuldzuweisungen an die verbohrten Verhandlungspartner? Wieder mal keine. Nur einen stillen Wunsch äußerte Wiefelspütz noch. Es wäre schön, sagte er, wenn man „zwei, drei Wochen dranhängen“ könnte, um „noch mal nachzudenken“.

Doch genau darauf haben die Grünen keine Lust mehr. Während der SPD-Verhandlungsführer seinem Hund beim Schwimmen zusah, erklärte in Berlin Reinhard Bütikofer die Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz für beendet. „Das Spiel ist aus“, sagte der grüne Parteichef. „Offenkundig ist mit der Union keine Lösung zu erreichen.“ Am Vormittag im Vorstand und im Parteirat seien sich alle Spitzengrünen darin einig gewesen.

Dieser Meinung waren sämtliche Flüchtlingsorganisationen, viele Migrationsexperten und der linke Flügel der Grünen schon lange. Nun, nachdem die Union noch einmal drastische Verschärfungen bei den Sicherheitsfragen verlangt hatte, ohne an anderen Punkten nachzugeben, war auch bei den grünen Führungsleuten der Geduldsfaden gerissen. Zu deutlich hatte die Union signalisiert, dass sie zu einem gemeinsamen Gesetz nur dann bereit sei, wenn Grün raus- und Union reinkomme, wie es der bayerische Innenminister Günther Beckstein formulierte.

Die Grünen hatten das Zuwanderungsgesetz ursprünglich am lautesten gefordert. Gestern Mittag zog Bütikofer eine bittere Bilanz: „Dieser Teil des Kampfes um ein modernes Einwanderungsrecht ist nicht erfolgreich gewesen.“ Punkt.

Zur gleichen Zeit stand Franz Müntefering, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, im Willy-Brandt-Haus und zeigte sich trotz der Zuspitzung ganz entspannt. Es war dabei nicht ganz ersichtlich, ob Müntefering die Drohung der Grünen nicht ernst nahm oder ob er in diesem Moment von der Absage der Grünen noch gar nichts wusste. Der starke Mann der SPD jedenfalls empfahl ganz nüchtern, einen „neuen Versuch“ beim Zuwanderungsgesetz zu unternehmen. Er forderte CDU-Chefin Angela Merkel auf, ihr „taktisches Verhalten“ aufzugeben. Und er riet den Grünen, ihre Verantwortung für die Koalition zu sehen. „Da macht man nichts gegeneinander“, sagte Müntefering. Er fügte allerdings auch hinzu: „Mit der Union allein wird die SPD kein Gesetz machen.“ Und dann noch ein typischer Müntefering-Satz zum Schluss: „Nicht zu früh aufgeben.“

In einer Koalitionsrunde am Freitag hofft der Fraktionschef, die Grünen wieder zurück ins Boot holen zu können. Die John-Wayne-Variante dieser sozialdemokratischen Taktik führte dann nicht ganz unerwartet Innenminister Otto Schily vor. Er schoss einfach aus der Hüfte. O-Ton Schily: „Wenn Herr Bütikofer meint, er habe hier das Kommando zu führen, dann wird das nach meiner Überzeugung eine ernste Krise in der Koalition. Jedenfalls was meine Person angeht.“

Daran hat kein Grüner auch nur den leisesten Zweifel. Aber beim kleinen Koalitionspartner beeindruckt das niemanden mehr. Die Grünen wissen, dass Schily mit dem Gesetz sein Lebenswerk krönen will. Deshalb haben sie ihm in der vorigen Woche klar gemacht, welche Forderungen sie unter keinen Umständen mittragen werden. „Wir haben ihm gesagt“, erinnert sich Bütikofer, „wo für uns die rote Linie ist.“ Aus Sicht der Grünen hat Schily diese Linie übertreten.