Eichel: Bremen ist selber Schuld

Im Sanierungsbericht 2002 räumt der Stadtstaat erstmals ein, dass das Bundesfinanzministerium und auch andere Länder die Strategie des Sparens und Investierens in Frage stellen. Sie mahnten „nachhaltigere“ Fortschritte an. Die Investitionen sollen sich jetzt erst ab 2021 richtig auszahlen

taz ■ Bremen hat die Sanierungsauflagen „uneingeschränkt erfüllt“, teilt der Bremer Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) im Vorwort des Sanierungsberichts 2002 dem Bundesminister der Finanzen mit, leider, leider – heißt es dann auf Seite 52 des dicken Papiers – wird das Sanierungsziel „verfassungskonformer Haushalt“ für das Jahr 2005 nach den derzeitigen Berechnungen um 490 Millionen Euro verfehlt. Auch für die auf 2005 folgenden Jahre fehlen „entsprechende Ausgleichsbeträge“. Soweit ist der Sachverhalt bekannt.

Richtig neu ist in dem Sanierungsbericht etwas anderes: Erstmals räumt Bremens scheidender Finanzsenator offiziell ein, dass der „von Bremen gewählte Sanierungskurs ... auch kritisch bewertet“ wird: „Bereiche der Bundesregierung, aber auch andere Länder ... stellen die bremische Strategie des Sparens und Investierens in Frage und mahnen nachhaltigere Sanierungsfortschritte ... und insbesondere den Verzicht auf besondere Investitionsanstrengungen an.“ Vor allem solche Länder seien kritisch, die selbst im Investitionsbereich kürzen müssen. Klar: Bremen nutzt die Sanierungshilfen auch zur Konkurrenz mit anderen Ländern. Die Firmenzentrale des Autokonzerns Daewoo wurde schlicht aus Wiesbaden nach Bremen gelockt – mit Bremer ISP-Investitionen in das Vulkan-Gelände. Solche Vorgänge schmälern die Freude anderer Länder – und nicht nur Hessens – über Bremens „Sanierungserfolge“.

Der Streit war schon auf der Sitzung des Finanzplanungsrates im Juni 2002 ausgebrochen. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte dort erklärt, die Steuergesetzgebung sei von Bund und Ländern gemeinsam beschlossen worden, die „fiskalischen Auswirkungen“ seien daher auch „gemeinsam zu tragen“. So ist es im Protokoll der Sitzung nachzulesen.

Mit diesem Argument wird der Kanzlerbrief zu einem netten Stück Papier gemacht. Im Protokoll folgt dann der bemerkenswerte Satz, Bremen habe sich „im Rahmen seiner Haushaltsautonomie für eine Sanierungsstrategie entschieden, die statt auf möglichst schnelle Teilentschuldung auf überproportionale Investitionsausgaben“ setze: „Das Ergebnis dieser selbst gewählten Strategie“ müsse Bremen „auch selbst verantworten“.

Das heißt im Klartext: Wenn die Sanierungsinvestitionen dem Stadtstaat Bremen nicht aus der Haushaltsnotlage heraushelfen, ist Bremen selbst schuld.

Nach dem offiziellen Bremer Sanierungsbericht rentiert sich die große Investitionsanstrengung erst „ab dem Jahr 2021“ – erst dann würden die Zinszahlungen Bremens niedriger ausfallen als wenn die Sanierungshilfen direkt zum Schuldenabbau verwendet worden wären. Die Frage ist nur, wer Bremen bis 2021 hilft. Kein seriöser Kaufmann würde zudem Geldausgaben „Investition“ nennen, die sich nicht vor dem Jahr 2021 rentieren.

Diese Verschiebung der Effekte des bremischen Investitionsprogramms auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zieht sich durch die Sanierungsberichte von Anfang an. Im Jahre 1992 hatte der „Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung“ (BAW) als offizielles Institut des Wirtschaftssenators prognostiziert, dass bei Durchführung des ISP Bremens Wachstum jedes Jahr um ein Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen werde.

In Wahrheit lag das Wirtschaftswachstum in den ersten Sanierungsjahren sogar deutlich unter dem Durchschnitt der westlichen Bundesländer. Die Bilanz: Zwischen 1991 und 2002 wuchs Bremens „Brutto-Inlands-Produkt“ (BIP) um insgesamt 7,7 Prozent, das der alten Bundesländer um 13,2 Prozent. Auf die Jahre umgerechnet heißt das: Bremens BIP lag in Wahrheit mit 0,7 Prozent durchschnittlich um 0,4 Prozent unter dem westlichen Durchschnitt.

Die Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich (LFA) sollten durch die Sanierungsinvestitionen von damals circa 300 auf 210 Millionen Euro im Jahre 2002 sinken. In Wirklichkeit stiegen die LFA-Zahlungen der anderen Länder auf 420 Millionen Euro im Jahre 2002.

Dabei waren die Sanierungshilfen damals nur bis 1998 gewährt. Im neuen Sanierungsbericht werden die Effekte der Investitionsstrategie am Ende eines Zehn-Jahres-Zeitraums versprochen. Im Jahre 2002 könnten nur 11 Prozent der Effekte „als realisiert gelten“, die insgesamt durch das Investitionsprogramm erreicht würden. Das Finanzressort verspricht nun für die Jahre 2001 bis 2010 nicht mehr ein Prozent, sondern nur noch 0,6 Prozent über dem Durchschnitt der westlichen Länder. Die Prognose impliziert: Bremen braucht bis 2010 weitere Sanierungshilfen. Und dann gibt es – mindestens – eine neue Prognose. kawe