themenläden und andere clubs
: Wie sich mit einem spontanen Weitsprung-Happening die Hackesche Vermarktung verhindern lässt

Hotspot Schlesische Straße

Es ist Sommer, man geht öfter mal raus, und, schau an, einiges hat sich verändert. Der einstige Winner-Bezirk Mitte wankt immer entschiedener dem Abstieg entgegen. Wann wird hier die letzte Galerie wegziehen, wann werden die ersten 99-Cent-Läden in der Neuen Schönhauser eröffnen? Am Schlesischen Tor hingegen herrschen ungewohnte Bewegung, neues Leben, Aufbruchstimmung.

Besonders lebendig war es am Wochenende natürlich wegen der Universal-Party. Ein Jahr weilt der Musikkonzern nun schon in Berlin. Bei der Party, bei der, wie gut informierte Kreise berichteten, trotz der Krisenstimmung die Jahresetats sämtlicher Berliner Indielabels verballert wurden, spielten außer Shaggy noch viele andere tolle Universal-Acts. Als außenstehender Beobachter konnte man da wieder sehr schön die Gepflogenheiten der Menschen aus der Freizeitbranche beobachten. Gerade bei derartigen Events kommen diese nämlich gern über die Brücke und besuchen die neuen Lokale am Schlesischen Tor.

Man erkennt sie daran, dass sie betont angeberisch-unauffällig zu mehreren aufs Klo gehen, wahrscheinlich um über den Untergang der Musikindustrie zu reden und sich dabei ihre Anhaftungen zu zeigen.

Wir wollen jetzt nicht in Westberliner Sentimentalitäten verfallen und davon schwärmen, wie beschaulich morbide es noch war, als über die Oberbaumbrücke nur Rentner kamen und die Schlesische Straße kurz hinter der alten Tankstelle an der Mauer endete. Aber schön war es doch. Es gab damals auch keine ostentativ nichtstuerisch Sonnenstrahlen und Kanalidylle genießende Idioten, die den ganzen Tag am Freischwimmmer-Club in Strandliegen hängen und Milchkaffees süffeln.

Dafür flogen in der Falckensteinstraße die Besoffenen schon nachmittags im Minutentakt aus liebevoll „Mördereck“ getauften Säuferkneipen. Und gerade im Sommer kam ein fast mediterranes Lebensgefühl auf, wenn sich benachbarte Alkoholiker aus den Fenstern ein liebevolles „Halt’s Maul, du blöde Fotze!“ zuriefen.

Ist es vorbei mit dem alten Kreuzberg? Nein, ein Coffeeshop macht noch keine Gentrification. Solange sich noch fröhliche Zecher in legerer Freizeitkleidung vor Penny versammeln, solange die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquoten bei 24 Prozent liegen, ist eine Gefahr der Hacke’schen Vermarktung und Simondachisierung nicht akut. Im Gegenteil, es ist noch interessanter geworden.

Einige leerstehende Geschäfte sind neu vermietet, da gibt es gibt jetzt Rechtsberatung, Fotos, Tarnkleidung und vieles mehr. „Ist das jetzt ein Laden oder eine Installation?“, fragt sich da der neugierige Flaneur. Zugleich erinnert das Geschehen am Hotspot Schlesische Straße ein wenig an das Flair der frühen Mitte, als alles noch so interessant war. Leute, die tatsächlich Arbeit haben, pendeln zwischen Internet und Inder, Modeltypen mit seltsamen Schuhen (oben Cowboystiefel, unten Sandale), asymmetrischen Haarschnitten und herausgearbeiteten Wangenknochen laufen lässig vor dem Bagdad-Bistro hin und her.

Es scheint, dass auch bei den echten Szeneleuten der Trend wieder zum Echten, Ursprünglichen geht. Statt in Szene-Pizzerien abzuhängen, kauft der wahre Kenner beim durchgehend geöffneten authentisch-türkischen Bäcker.

Besonders innovativ geht es an der Ecke Cuvrystraße zu. Als vor zwei Wochen die Straße hier aufgerissen und mit Sand gefüllt wurde, fand ein spontanes Weitsprung-Happening statt. Der letzte Schrei aber ist die „Döner-Lounge“: Im Hinterzimmer eines rustikalen Eckimbisses öffnet jeden Donnerstag ein kleines Elektroniklädchen zum Tanz.

CHRISTIANE RÖSINGER