der infrarote korsar von WIGLAF DROSTE:
Schwer atmend klomm ich den Berg hinauf – ich musste zum Gipfel, es gab keine andere Möglichkeit. Längst war mein Kreuz, auf dem der Rucksack hin und her schwankte wie ein betrunkener Affe, klitschnass geschwitzt; Schweiß troff mir vom Gesicht, doch ich stieg und stieg, immer bergan. Dabei bin ich nichts weniger als ein Bergfex. Heidihaftes ist mir fremd, auch Luis Trenker gibt mir nichts. Seitdem ich als Zehnjähriger im sommerferiären Familienverbund den schottischen Ben Nevis hinauftaumelte, ist das Verlangen, einen Berg zu erklimmen, nachhaltig gestillt.
Dicke, tief hängende grau-schwarze Gewitterwolken zogen am Himmel auf. Die ersten Regentropfen waren noch erfrischend, aber dann durchnässte mich das wild pladdernde Gepläster auch unangenehm von außen. Der lehmfette Boden war zäh geworden, wie Fensterkitt klebte er an meinen Schuhsohlen. Die Sicht wurde schlecht, kaum war der schmale Pfad vor mir zu erkennen, so dicht fiel der Regen.
Warum nur war ich meiner fundierten Abneigung gegen jede Art von Bergsteigerei untreu geworden? Für die Steigeisensorte Mensch hatte ich doch nie etwas übrig gehabt. Ich verfluchte Berg, Wetter, meinen Leichtsinn – und die Tücken der Kommunikationselektronik. Im Basislager, einem kleinen weserbergländischen Dorf, hatte ich feststellen müssen, dass es keinen Empfang für mein Mobiltelefon gab. Mit diesem infrarotschnittstellengestützten Telefon und einem ebenso ausgerüsteten Netbook rufe ich unterwegs die elektronische Post ab – und ich wusste, dass eine lebenswichtige Nachricht per E-Mail an mich abgeschickt worden war. Als ich sie lesen wollte, hatte das Display meines Mobiltelefons „Kein Netz“ angezeigt, ich hatte aus dem Tal hoch zum Berg gesehen und sofort die Lösung erkannt: Dort oben würde es Netz und Empfang geben, für mich und meine Geräte.
Das Weserbergland hat einige Gemeinsamkeiten mit Irland: Es ist grün, man isst dort gern Kartoffeln und trinkt gern Bier – und es regnet eigentlich immer. Mein Besuchstag war keine Ausnahme. Allein die Hoffnung, auf dem Gipfel modernste Elektronik aktivieren zu können, trieb mich weiter durch Regen und Matsch. Dampfend erreichte ich mein Ziel, fand einen Baum, der mein Zubehör und mich vor Regen schützte, setzte die Infrarotmaschinchen in Gang, empfing die eingegangenen Elektropöste, unter denen sich auch die sehnlich erwartete befand – yippieh! Ich fiel auf die Knie und dankte Gott, dem Gott der Geräte: Dieter Grönling, dem Mann, der elektronisch verursachte Verzweiflung in Glück und Gnade zu wandeln weiß.
Der Abstieg war Stolpern, Schliddern und Schlingern auf glitschigem, seifigem Grund. Das Basislager empfing mich mit einer blubbernd heißen Suppe und einem Grog, gebraut aus Bärenfang, dem gewaltigen ostpreußischen Honigschnaps. Dann wurde ich in Decken gehüllt und auf die Chaiselongue gepackt – und sah mir einen meiner Lieblingsfilme an, „Der rote Korsar“ mit Burt Lancaster, und dabei streichöllte ich versonnen meine infraroten Gefährten.
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