Volk daneben!

In einer volksnahen Aktion verkaufen „Bild“ und Karstadt jetzt ein „Volksfahrrad“

Mit der Schaffung des Volksfahrrads ist die Volksfrage in Bewegung gekommen

Nach den großartigen Erfahrungen der Volksdeutschen mit den Volksgenossen, mit Volkssturm und Volksempfänger, aber auch mit der nicht nur das Volkseigentum bewachenden Volkspolizei bringt die Bild-Zeitung jetzt gemeinsam mit Karstadt das Volksfahrrad ins Rollen. Es hat sieben Gänge, Rücktritt und ist schwarz wie ein alternatives Bestattungsvehikel. Sein Markenzeichen: die Bremse, die gleichzeitig hinten und vorn bremst und die dem deutschen Volkskörper, wenn er vom Volkswagen aufs Volksfahrrad umsteigt, die Gelegenheit bietet, sich mal wieder richtig auszubremsen.

Die Bremse, so viel ist klar, bedeutet Sicherheit, garantiert die Zurücknahme von Geschwindigkeit, ja, eigentlich den Stillstand. Alle Räder stehen still / wenn es der Volksradfahrer will. Die nächste Generation des Volksfahrrads wird wohl auf die Kette verzichten, damit erst gar keine Fahrt aufkommen kann. Oder, noch besser, man lässt Kette und Pedale weg und kreiert das Laufrad neu, das Volkswanderrad, mit dem alles bequem zu Fuß erreichbar ist. Denn das Potenzial des neuen Volksfahrrads ist noch lange nicht erschöpft, und als Symbol der deutschen Wirtschaftskraft wäre auch ein gepanzertes Modell ohne Lenker denkbar, das allein per Führer- … – äh, Fahrerbefehl gesteuert werden könnte.

Wenn der Volkswagen für das Deutsche Reich in den Grenzen von 1942 steht, müsste das Volksfahrrad vielleicht ein Deutschland in den Grenzen von, sagen wir, 1918 annoncieren. Dazu passt auch die Farbe – schwarz, denn die Aussichten sind düster, es wird gespart, gekürzt, gestrichen und gejammert, und jeden Morgen beginnt ein neuer Volkstrauertag in Deutschland. Dagegen wird auch die magische Zahl von sieben Gängen nichts ausrichten, zumal einer, ein Volksgang, für das Volksfahrrad sicher ausgereicht hätte.

Eine Schwalbe, wissen wir, macht noch keinen Sommer, und ein heißer Sommer macht noch keinen Krieg, wenngleich 1914 und 1939 sehr heiße Sommer gewesen sein sollen und auch dieses Jahr – die Soldatensärge sind schon da – ein heißer Sommer sich ankündigt. Genauso wenig aber folgt auf die Idee eines Volksfahrrads, dass alle anderen Fahrräder bald mit einem gelben Stern gekennzeichnet werden müssten. So weit kommt’s noch – das Volksfahrrad heißt lediglich Volksfahrrad, sein Name könnte genauso gut Deutsch-Drahtesel lauten. Es besteht kein Zwang, es zu erwerben. Selbstverständlich dürfen – wir leben in einem freien Land – auch Ausländer eins kaufen, Holländer etwa, wenn sie mit ihrem Hollandrad nicht mehr weiterkommen und umsatteln wollen auf ein echtes deutsches Stück Wertarbeits-Volksfahrrad, das vermutlich in China zusammengeklebt wurde.

Vergessen wir nicht, dass es der Volkskomiker Otto ist, der das Volksfahrrad im volksnahen Beobachter Bild-Zeitung promotet. Seit vielen Jahren begeht dieser Mann in aller Öffentlichkeit Kalauermissbrauch auf unterstem Nivea. Anders als etwa „Volkskornbrot“, „Volkswaschmittel“ oder „Einmal Volkstanken bitte!“ gibt sich das Volksfahrrad zwar erfrischend kalauerresistent, wirkt aber semioriginell und gusseisern. Es klingt nach Marschbefehl und Durchhalteparole und verströmt Kraftlosigkeit durch Freudlosigkeit. Die Lage ist ernst, Selbstverwirklichung und Individualität sind passé, und auf Volksverrat am Volksfahrrad steht jetzt die Todesstrafe.

Allzu lange führte die Vorsilbe volks- eine Art Schattendasein auf Bewährung und war nur bei Volksmusik oder Volksfürsorge eben noch geduldet. Volkswagen hieß VW, und eine Volkszählung fand nicht statt. Mit der Schaffung des Volksfahrrads aber ist die Volksfrage endlich in Bewegung gekommen, wenn nicht in die Bewegung. Das deutsche Volk sitzt wieder fest im Gel-Sattel und strampelt sich frei. Nach unten treten, aber nie nach oben kommen und immer schön rechts halten auf dem deutschen Sonderradweg – ein Volk, ein Reich, ein Fahrer. Und demnächst bei Bildottokarstadt: der Volksfallschirm, garantiert ohne Reißleine. RAYK WIELAND