Von Huren und Underdogs

Axel Wagener, Absolvent des Regie-Studiengangs der Uni Hamburg, nähert sich auf Kampnagel der spanischen Theateravantgarde der Franco-Zeit mit den Mitteln des Butoh-Theaters. Dabei geht es ihm vor allem darum, zu zeigen, wie das Böse in uns allen ist

In Die Kleider des Toten bürstet der avantgardistische Autor Ramón del Valle-Inclan (1866- 1936) den spanischen Nationalmythos „Don Juan“ radikal gegen den Strich. Axel Wagener inszeniert die modernistische Satire auf die Figuren des klassischen Theaters und die War-Lord-Gesellschaft auf Kampnagel.

taz: Herr Wagener, der Autor Valle-Inclan nutzt ausgerechnet den klassischen Don-Juan-Stoff für seine anarchistische und pazifistische Botschaft. Wie macht er das?

Axel Wagner: Der Don-Juan-Tenorio von Zorilla, den Valle-Inclan parodiert, ist ein sehr katholisches Stück, das die militärischen „Werte“ des spanischen Hochadels feiert. Valle-Inclan versetzt das Personal in ein komplett anderes Milieu, in dem aus Helden Schlappschwänze und aus keuschen Damen Huren werden. Damit nimmt er nicht nur das Franco-Militär auseinander, sondern zerpflückt auch die Doppelmoral des Bürgertums.

Wie haben Sie sich Valle-Inclans Bearbeitung genähert?

Ich habe mit Elementen aus dem japanischen Tanztheater, dem Butoh, gearbeitet, damit die Schauspieler zu einer eigenen Körperlichkeit finden, die den Reflex, schön zu sein, ausschaltet. Die Kontrolle über den Körper wird aufgegeben. Dadurch trägt er innere Abgründe nach außen. Das Bühnenbild von Peter Nolle, mit dem ich jetzt zum dritten Mal zusammenarbeite, nimmt dieses Thema auf: Zuerst bespielen wir nur einen kleinen Teil der Bühne, der sich nach und nach ausweitet. Gleichzeitig löst sich die Kulisse stückweise im Chaos auf. Der zivilisierte Rahmen, der das Hässliche des menschlichen Charakters kontrolliert und verbirgt, zerbricht.

So wie in der Szene, wo der junge Don Juan auf dem Friedhof einen toten Kriegskameraden wieder ausgräbt. Er klaut dem Toten seinen Anzug, damit er „anständig“ gekleidet ist.

Genau, es ist diese andere, dreckige und dunkle Seite des gesellschaftlichen „Anstands“, die mich bei Valle-Inclan fasziniert. Die Kleider des Toten werden nicht nur zum Sinnbild für die Abwesenheit jeglicher Moral im Krieg, vor allem sind sie das Symbol eines angepassten, auf Äußerlichkeiten konzentrierten Denkens und Handelns, das buchstäblich über Leichen geht.

Das Stück gehört zu einer Trilogie, in der Valle-Inclan die Gewinner-Ebene der Kriegsherren und die Verlierer-Ebene der Soldaten einander gegenüberstellt. Inwieweit hat das pazifistische Thema Einfluss auf Ihre Stückauswahl gehabt?

Es war nicht meine Absicht, Bezug auf zum Beispiel den Irak-Krieg zu nehmen. Ich habe das Stück ohne ideologischen Hintergedanken gewählt. Hier geht es für mich viel mehr um das banale Böse in einem allgemeinen Überlebenskampf des Menschen. Dabei ist es egal, ob jemand Opfer eines Krieges oder ob er am Alltag gescheitert ist. Es geht mir um die Ignoranz der Leute, denen es gut geht. Wir übersehen gerne die Underdogs, das Gesindel von der Straße, weil sie uns scheinbar nicht betreffen. Das ist mindestens so aktuell wie ein Statement gegen den Krieg: Das Elend der Vergessenen können wir auch täglich in den Straßen von Hamburg sehen.

Fragen: Jana- Axinja Paschen

Premiere heute, 19.30 Uhr, Kampnagel, weitere Aufführungen 6.5. + 7.5., jeweils 19.30 Uhr