Kritikverzicht

Betr: „Verzichten auf den Wienerwald“, taz bremen den 26.04.2004

Am 23. April hatte im Schauspiel des Bremer Theaters Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in der Regie von Andreas von Studnitz Premiere. Am 26. April erschien in der taz bremen ein Artikel von Benno Schirrmeister: „Verzichten auf den Wienerwald“. Schirrmeister ist aufmerksamen taz-Lesern bereits bekannt als getriebener und beklagenswerter Journalist, weil er sich am Wochenende bisweilen entscheiden muss zwischen privaten Wäschebergen und dem Besuch von Kulturveranstaltungen. Da bleibt natürlich immer etwas auf der Strecke. In unserem Fall ist es die Theaterkritik. Das ist keineswegs originell und nicht allein ein Bremer Phänomen, auch wenn es hier auffällig ausgeprägt ist. Denn schon seit Jahren ist festzustellen, dass Theaterkritik sich weitgehend davon verabschiedet hat, zwischen einer Aufführung und dem Publikum zu vermitteln. „Verloren gegangen ist bei einigen offensichtlich das Interesse, die spezifischen Voraussetzungen einer Aufführung, ihre selbst gesetzten Kriterien, erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, um sie – durchaus subjektiv – zu beurteilen. Kritik ist dann überprüfbar und nachvollziehbar, auch bei unterschiedlicher Meinung, kann dann Teil des Dialogs sein zwischen denen, die Theater machen, und denen, die es erfahren und erleben“, konstatierte zuletzt der Kollege Hans-Joachim Ruckhäberle in der Süddeutschen Zeitung. Alles andere aber ist: vorgefasste Meinung oder Selbstzweck. Denn es hat weder an der Aufführung noch am Theaterzuschauer oder Leser Interesse. Dem Anspruch des Kritikers Herbert Ihering – „keinen feuilletonistischen Zierrat, kein bloßes Andeuten und Anspielen, sondern Verantwortung für jeden Satz“ – steht Geschmäcklerei, Kalkül und Gesinnungs- und Meinungsmache gegenüber. Alles wird angerissen oder bleibt nebulös, zumindest aber vage. Kritik erweist sich aber in der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, der sie hervorruft. Sonst ist die Schreiberei belanglos. Dämlich wird sie, wenn sie sich statt mit ihrem Gegenstand mit der ergoogelten vermeintlichen Biographie des Regisseurs auseinandersetzt. Ist es, wie in unserem Fall, ein von Studnitz, wird die Gesinnung des eigenen Zeitungsblattes schnell rechts überholt und die Vorurteilskeule geschwungen: „Unvorstellbar, dass Andreas von Studnitz die Schauspieler duzt. Man wird ihn sich ausmalen müssen als jemanden, der seine Distanz wahrt.“ Linker Rassismus. Wir spielen lustig weiter und trösten uns mit Horváth: „Das Theater als Kunstform kann nicht untergehen, aus dem einfachen Grund, weil die Menschen es brauchen.“ Und böse sind wir auch nicht. Ödön von Horváth: „Der alte Typ des Spießers ist es nicht mehr wert, lächerlich gemacht zu werden; wer ihn heute noch verhöhnt, ist bestenfalls ein Spießer der Zukunft.“ Das wollen wir aber nicht sein und geben uns dafür auch nicht her. Auf ein Neues – und herzlichen Glückwunsch zum 25. Geburtstag. JOACHIM KLEMENT, Chefdramaturg am Bremer Theater