Theater als Trainingslager

Wie hältst du es mit der Gewalt? Das Theatertreffen lud Regisseure und Politiker zu einer Diskussion über die Reaktionen auf Terror und Krieg. Doch stattdessen ging es bald nur um ihre Darstellbarkeit

Im Theater das Hinsehen lernen,um sich selbstanders zu verhalten

VON JAN SÜSELBECK

Farben sprechen. Durch das Foyer des Hauses der Festspiele geht man während des Theatertreffens über blutrote Teppiche, die auf weißem Sand ausgelegt sind. „Der unerklärte Krieg“ lautete der suggestive Titel der Diskussion, zu der das ZDF im Rahmen des 41. Berliner Theatertreffens einlud. Drei Regisseure, deren Inszenierungen zum Theatertreffen kommen, sollten mit Wolfgang Schäuble, Gregor Gysi und der Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestags, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), über den um sich greifenden Terror debattieren. „Wie kann das Theater auf eine immer gewaltbereitere Welt reagieren?“, fragte Georg Diez von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Seine Co-Moderatorin, die Ex-Viva-Moderatorin Minh-Khai Phan-Ti, lächelte dazu dauerhaft.

Armin Petras, dessen Hamburger Inszenierung von Fritz Katers „We are camera“ noch morgen im Hebbel am Ufer läuft, übte sich zunächst als Provokateur. Anders als sein niederländischer Kollege Johan Simons, dessen Heiner-Müller-Arbeit „Anatomie Titus Fall of Rome“ von den Münchner Kammerspielen die „heimliche Theater-Olympiade“ (ZDF) anderntags bereits fulminant eröffnet hatte, fand Petras ganz und gar nicht, dass der neue Krieg „unsichtbar“ geworden sei. Den Terror könne man doch überall sehen, entgegnete er betont lässig, „und ich finde es fair, dass unsere Gesellschaft in diesen Krieg einbezogen wird. Für mich ist das alles nicht überraschend.“

Während Johan Simons in seiner Inszenierung des ob seiner Grausamkeit berüchtigten Shakespeare-Stoffs bewusst auf jedes Bild der Gewalt verzichtet und die Akteure nur noch beiläufig aus Zuschauerreihen auf der Bühne sprechen lässt, optiert Petras für handfeste Aggression auf der Bühne: „Ich finde es wichtig, extreme Gewalt auf dem Theater zu zeigen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass solche schockierenden Szenen dort schon bei geringem Aufwand viel mehr Reaktionen im Publikum hervorrufen als andere Medien, weil wir einfach näher dran sind. Da reicht schon ein Kübel Blut oder eine angedeutete Kopulation, und die Abonnenten rennen raus.“

Petras benennt „Widersprüche“ als wichtigsten Antrieb für seine Regie, den „Krieg in mir“. Die Vorwürfe der Presse, die ihn dafür bereits des „Zynismus“ und der „Geschmacklosigkeit“ geziehen hatte, wies Petras zurück. Es sei nun einmal so, dass ein weltweiter „Paradigmenwechsel“ stattgefunden habe: „Wir können nicht mehr einfach zusehen, wie die Menschen anderswo leiden, die kommen jetzt zu uns.“ Aus dieser Perspektive setzte Petras gar zu einer Verteidigung des Theaters an. Er begreift es als subversiven „Trainingsort“ einer „Second-Hand-Kunst“. Hier lasse sich „lernen, hinzusehen, um sich selbst anders zu verhalten“. Der Regisseur sieht seinen Arbeitsplatz als „Schutzraum, in dem man einfach sieben Wochen proben kann, das ist ein utopischer Rahmen. Ich bin dankbar, dass es so was noch gibt in Deutschland.“

Der belgische Regisseur Alain Patel ist zum Theatertreffen mit „Wolf“ eingeladen, einer Art musikalischen, tänzerisch-akrobatischen und sehr vielschichtigen Multitheaters zur Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Patel wurde von dem Moderator Georg Diez auf einen Moment seiner Inszenierung angesprochen, der in Belgien für ernsthafte Aufregung gesorgt hatte: Darsteller verbrennen hier eine amerikanische und eine israelische Flagge auf der Bühne. Ein Umstand, der jedoch bereits bei der deutschen Premiere im Rahmen der Ruhrtriennale beim Publikum bloßes Achselzucken hervorrief.

Was Patel mit dem Einfall genau bezweckte und warum er zu Zeiten wachsenden Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa ausgerechnet auf das Abfackeln dieser Flaggen verfiel, konnte er nicht so recht deutlich machen. Zumal es die stammelnden Moderatoren (besonders klamm: Diez) auch nicht zustande brachten, diese nahe liegende Frage zu stellen. Stattdessen wiegelte Patel ab, es handele sich „nur um fünf Minuten der ganzen Inszenierung“, und diejenigen, die sich darüber am meisten aufgeregt hätten, „haben die Aufführung gar nicht selbst gesehen“. Er habe auf der Bühne öffentliche „Tabus“ brechen und zeigen wollen, wie sehr das Hantieren mit „nationalen Symbolen zu kollektiven Erregungen und Eskalationen der Gewalt führen könne“, hauchte der ausgebildete Heilpädagoge.

Gefragt, was er als Politiker von einem solchen „Tabubruch“ halte, witzelte Schäuble, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU: „Eine Flagge verbrennen ist schlimm, aber wenn sich unsere Kriege darauf beschränken würden, wär’s ja gut.“

Überhaupt die Politiker. Vom Theater keinen blassen Schimmer, produzierten sie abstoßendes Wortgeklingel. Die palästinensischen Selbstmordattentate geschähen „nicht ohne Grund“, sinnierte Sonntag-Wolgast, während Schäuble mit altersweisem Lächeln banales Unionsgeflüster absonderte. Gysi gab seine Paraderolle – den burschikosen, netten Anwalt von nebenan.

Voilà – fertig ist ein neuer Talkshowabend. Im Theater wäre man allerdings besser aufgehoben gewesen.

Petras „We are camera“, HAU 2, 5. Mai, 14.30 und 21 Uhr, Hallesches Ufer 32; Alain Platel „Wolf“, 16./17./18. Mai, 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24