Ein Loch mit unbekannter Tiefe

Steuerschätzung könnte der Stadt ein Minus um 100 Millionen Euro bescheren. Der rot-rote Senat will neue Schulden aufnehmen. Die Opposition auch. Nur die FDP will lieber Landeseigentum verkaufen

VON THORSTEN DENKLER

Es sind nur 0,2 Prozentpunkte. Aber die haben es in sich. Um diese kleine Zahl hat die Bundesregierung vor wenigen Tagen ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum gesenkt. Jetzt wird nur noch ein Plus von 1,5 Prozent erwartet. Für Finanzminister und Steuerexperten heißt das: Taschenrechner raus und nachgerechnet, wie viel Steuergeld fehlen wird.

In Berlin hat PDS-Finanzexperte Carl Wechselberg vorgelegt. Er rechnet mit einem Loch im „unteren dreistelligen Millionenbereich“, sagte er der taz. Aus Senatskreisen dagen hat die taz erfahren, dass im laufenden Jahr Mindereinnahmen nur im zweistelligen Bereich zu erwarten sind. Der Hammer könnte 2005 kommen. In acht Tagen kommt der Kreis der Steuerschätzer zusammen, um die Einnahmen für die kommenden zwei Jahre vorherzusagen. Die Erfahrung zeigt, dass die zu erwartenden Mindereinnahmen im zweiten Jahr größer sind als im ersten Jahr.

Steuerschätzungen haben eines gemein: Sie sind Schätzungen. Meinungen, welche Zahl unter dem Strich stehen könnte, gibt es viele. Gewissheiten keine. Deshalb will sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) auf eine Diskussion nicht einlassen. Aus Ministeriumskreisen war einzig zu erfahren, dass die geringere Wachstumserwartung mit Sicherheit Folgen für Berlin haben werde. Welche auch immer.

Ein plötzliches Loch in der Kasse ist nichts Neues für Berliner Haushaltspolitiker. Zwischen 400 und 700 Millionen Euro fehlten jeweils 2002 und 2003 im Haushalt, nach dem die Schätzer ihr Votum abgegeben hatten. Die Reaktion in beiden Fällen: Haushaltssperre. Frei werdende Stellen werden nicht besetzt, neue Investitionen fallen flach, bezahlt wird nur noch, was notwendig ist.

Eine dritte Haushaltssperre will Wechselberg nicht, sagte er der taz. So könne kein Haushalt saniert werden. Was die Ausgaben angehe, sei aber das Ende der Fahnenstange erreicht. Den Menschen könne nicht mehr zugemutet werden. Wenn Geld fehle, müsse es über Neuverschuldung wieder reinkommen, sagt der PDS-Finanzexperte.

Ein Linie, die Sarrazin entgegenkommt. Trotz aktuellem Schuldenstand von 53 Milliarden Euro. „Es macht keinen Sinn, konjunkturbedingten Einnahmeausfällen durch Sparen beizukommen“, sagte er. Der Bund will es vormachen und über schuldenfinanzierte Investitionen das Wachstum nach vorne bringen.

Die FDP will mit zusätzlichen Krediten nichts zu tun haben. Sie will lieber Landesvermögen privatisieren und hat dabei Teile der Wohnungsbaugesellschaften im Visier.

Union und Grüne dagegen können sich eine Neuverschuldung durchaus vorstellen. „Ohne wird es nicht gehen“, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Sybill Klotz. Was sie allerdings nicht verstehen will, ist, weshalb der Senat gleichzeitig der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen dritten Staatssekretärsposten zubilligt. Alle anderen Senatoren begnügen sich mit zweien.

Vielleicht hat der Senat Glück mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. 35 Milliarden Euro will er vom Bund wegen extremer Haushaltsnotlage. Kommt das Geld, hätte Berlin nur noch 18 Milliarden Euro Schulden. Welch ein Trost.