Der blinde Furor des Betrachters

Ging es im Gefängnis von Abu Gharib in erster Linie um Pornofotos? Reaktionen auf die Folterbilder aus dem Irak

Es gibt den Topos, dass Bilder auf den Betrachter zurückblicken. Die Bilder, die Krieg und Nachkrieg im Irak produzieren, erinnern einen in regelmäßigen Abständen daran. Unter den Millionen von Fotos, die hier ihren materiellen Ausgangspunkt hatten, finden sich immer wieder solche, die einem die Perfidie des eigenen Wahrnehmungsapparates bewusst werden lassen können.

Bombendetonationen? Anschläge? Ach, da sieht man nur noch aus den Augenwinkeln hin. Aber die GIs rauchend in Saddams Palast, der Exdiktator selbst bärtig bei der medizinischen Untersuchung, jetzt die Folterbilder aus dem Militärgefängnis von Abu Gharib – da springt das Wahrnehmungssystem wie von selbst an. Man meinte, von den Medien schon mit allen Wassern gewaschen worden zu sein, aber: Mit so etwas hatte man jeweils einfach nicht gerechnet.

Was der Krieg im Irak längst zuschanden kommen ließ, das waren die Träume von einem aseptischen, einem körperlosen Krieg. Es sind gerade die Körper und was mit ihnen in einem Krieg geschehen kann, woran die Bilder erinnern. Mit beträchtlichen Auswirkungen. Ein Konflikt irgendwo auf der Welt wird auf der ganzen Welt gefühlt, schrieb schon Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“. Angesichts der Bilder von Abu Gharib könnte man von einer Globalisierung der Empathie sprechen. Das ganze Zivilisierungsprogramm der USA im Irak ist auf einen Schlag in eine Legitimationskrise geraten.

Es ist gar nicht so einfach, bei der Analyse auf der Höhe der Empörung zu bleiben, die einen aus den Fotos selbst anzuspringen scheint. Ulrich Raulff hat es gestern in der Süddeutschen Zeitung versucht und die Fotos in eine „Bildergeschichte der menschlichen Infamie“ eingereiht. Pasolini, Pornografie, Sadomasochismus sind die Stichworte – und man versteht diesen Versuch sofort, weil man schon vorauseilend dankbar ist für jeden Versuch, den Schock dieser Bilder in irgendeinen Zusammenhang einordnen zu können. Das macht es, so funktioniert man, leichter, sie auszuhalten.

Nur ist die Grenze zwischen Fiktion und Nichtfiktion, die Raulff souverän überschreitet, doch entscheidend. Ein Porno ist nur dann ein Porno, wenn alle Beteiligten einverstanden waren; eine gefilmte Vergewaltigung aber ist ein Verbrechen. Spätestens wenn Raulff mutmaßt, dass es in Abu Gharib „in erster Linie um Bilder“ gegangen sein könne, also nicht um die erpressten Geständnisse von Gefangenen, wird das Überschwängliche einer Sicht, die Bilder umstandslos von Kontexten ablöst, deutlich. Dennoch: Ganz ohne einen solchen Furor bliebe eine Analyse dieser Bilder leer.

Es gibt aber eben auch Anlass, mit einer Verteidigung dieses Furors zugleich die Lektüre von Seymour M. Hershs grandiosem Artikel „Torture at Abu Ghrabi“ im aktuellen New Yorker zu empfehlen. Die Ergebnisse dieser Recherche sind längst allgemein bekannt, im Wesentlichen geht es Hersh darum zu zeigen, dass die beteiligen amerikanischen Soldaten und Soldatinnen nicht allein verantwortlich gehandelt haben. Überzeugend ist aber vor allem die Nüchternheit, mit der Hersh (der 1968 das Massaker von My Lai aufgedeckt hatte) vorgeht. Unbeeindruckt von der exquisiten Perfidie der Bilder, sucht er der Situation auf die Spur zu kommen, in der ganz normale Männer und Frauen dazu kommen können, so etwas zu tun. Ohne eine solche Beachtung der Hintergründe bleibt diesmal eine Bildbetrachtung blind. DIRK KNIPPHALS

Unter www.newyorker.com ist der Artikel von Seymour Hersh frei zugänglich