BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Wir wollen es nicht glauben

US-Präsident Bush hat sich längst für die Folter im Irak entschuldigt, doch einige Journalisten zweifeln immer noch

Ein kleines vietnamesisches Mädchen rennt nach einem US-Napalmangriff auf sein Dorf schreiend die Straße entlang. Jacqueline Kennedy versucht nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann auf den Kofferraum ihres Autos zu klettern. Das zweite Flugzeug nähert sich dem World Trade Center, dessen einer Turm bereits brennt.

Alle diese Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt – Momentaufnahmen, die zu Symbolen für historische Ereignisse geworden sind. So unterschiedlich diese Ereignisse auch sind, die Fotos haben etwas gemeinsam: Sie sind nicht mehrdeutig. Ihre Botschaft des Schreckens bedarf keiner Interpretation.

Das gilt auch für das Foto des irakischen Gefangenen, der mit einer Kapuze über dem Kopf und an den Händen befestigten Stromkabeln auf einer schmalen Kiste steht. Vieles spricht dafür, dass dieses Bild zum Symbol des Irakkrieges werden wird, zum Sinnbild dafür, welche Verbrechen hinter einer glatten, gefälligen Fassade begangen worden sind. Verbrechen? Man kann es auch mit dem großen Zyniker Talleyrand halten: Weit schlimmer. Dummheiten.

Anlass zur Genugtuung besteht nicht, nicht einmal bei den erbittertsten Gegnern dieses Krieges. Wenn sich die USA selbst das einzige unbestreitbare Argument für den Sturz von Saddam Hussein aus der Hand schlagen – dass es nämlich ein Segen wäre, wenn den Menschenrechtsverletzungen im Irak ein Ende bereitet würde – dann wird dies weltweit zu einer weiteren Verhärtung von Fronten führen. Das ist weder der Sicherheit noch dem Wohlstand von Bewohnern westlicher Industriestaaten dienlich, unabhängig von deren jeweiliger politischer Einstellung.

Welchen Aspekt der Fotos und Berichte über die Misshandlung irakischer Gefangener man für besonders beschämend und ekelerregend hält, hängt vom eigenen Standpunkt ab. Manche konservativen Araber mögen die sexuellen Demütigungen schlimmer finden als alles andere, viele Europäer die Zufügung körperlicher Schmerzen. Abscheulich ist beides.

Ungeachtet kultureller Fragen gibt es einige Gruppen, die besonderen Anlass hätten, sich über die Fotos ihre Gedanken zu machen. Journalisten der so genannten freien Welt, beispielsweise. Wir halten uns, wenn wir den Anspruch auf Seriosität erheben, viel auf unsere Objektivität zugute. Offenbar zu Unrecht, wie die Fotos zeigen. Sie beweisen unsere Parteilichkeit.

Schon vor Monaten haben irakische Gefangene erzählt, sie seien von US- Soldaten misshandelt worden. Geglaubt hat ihnen das im Westen fast niemand. Ich auch nicht. Dabei hätte ich es besser wissen können: In Somalia haben Soldaten mehrerer Nato-Staaten zweifelsfrei Menschenrechtsverletzungen begangen. Ich war damals die zuständige Korrespondentin der taz. Was habe ich daraus gelernt? Offenbar gar nichts.

Wie man George W. Bush auch immer finden mag: Eine US-Regierung steht den meisten Deutschen allemal näher als das islamistische Regime im Sudan oder die Diktatur in Saudi-Arabien. Die Vorstellung, dass „unsere“ Seite „so etwas“ nicht tut, ist tief verinnerlicht. Es gibt Berichte über die Inhaftierung irakischer Kinder. Glauben Sie die?

Sprache ist verräterisch. Die „Tagesschau“ spricht – völlig korrekt – von „Misshandlungen“ irakischer Gefangener. Aber die Moderatoren und Moderatorinnen zahlreicher anderer Sendungen, in öffentlich-rechtlichen wie auch in privaten Sendern, benutzen den (scheinbar) nüchternen Begriff der „Foltervorwürfe“. Im Zusammenhang mit einem Vorwurf sind Zweifel erlaubt, sogar geboten.

Die US-Regierung hat die Vorwürfe im Grundsatz längst bestätigt. Und dennoch bleiben Journalisten, deren Auftrag die größtmögliche Präzision ist, in diesem Zusammenhang dem Ungefähren verpflichtet. Das wirft ein trübes Licht auf unser Verständnis von Pressefreiheit. Ach, übrigens: Können wir noch immer ausschließen, dass Saddam Hussein nach seiner Festnahme gefoltert wurde? Und wie fänden wir das, wir Kinder der Aufklärung?

Fragen zur Objektivität? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER