„Brigitte lesen gehört sich nicht“

Die Mutter aller Frauenzeitschriften wird morgen 50 Jahre alt. Bis heute prägt das Prinzip der positiven Perspektive die „Brigitte“:Nie den Mut verlieren, kein Problem ist unlösbar. Medienforscherin Jutta Röser über den Nutzwert trivialer Themen für Frauen und Männer

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Wenn man KollegInnen fragt, ist es vielen peinlich zuzugeben, dass sie „Brigitte“ lesen. Können Sie das erklären?

Jutta Röser: Das ist das ganz verbreitete Alltagsgefühl gegenüber den Bereichen, die Frauen interessieren. Diese Themen werden gesellschaftlich abgewertet. Medien, die sich speziell an Frauen richten, stehen unter Trivialitätsverdacht.

Sind die nicht auch trivial?

Man muss die richtigen Beispiele vergleichen. Niemand wertet die Themen Fußball, Sport oder Autos ab, die in Zeitschriften für Männer verhandelt werden. Bei einer solchen Gegenüberstellung kann man nicht sagen, dass Zeitschriften, die sich mit Mode, Alltagsbewältigung und gesunder Küche beschäftigen, das Trivialste sind, was wir haben. Diese Abwertung machen sich die Leserinnen auch selbst zu Eigen. Sie verleugnen, dass sie aus Brigitte einen bestimmten Nutzwert ziehen. Intuitiv weiß man, besonders als Intellektuelle, dass sich das nicht gehört.

Wollen wir tatsächlich so viel über Kochrezepte und Wellness wissen und so wenig über die Gesellschaft und Politik? Wird die „Frau“ da nicht ein bisschen eingeschränkt dargestellt?

Es gab bis vor kurzem nur „Fachzeitschriften“ für Männer und „Frauenzeitschriften“ für Frauen. Das suggeriert, dass Frauen nur eingeschränkte Interessen haben. Aber diese Blätter sind gar nicht so begrenzt: Als die Leserinnen angefangen haben, sich für Finanzen zu interessieren oder Autos zu kaufen, da haben die Zeitschriften mitgezogen und diese Dinge auch thematisiert. Dazu kommt: Die weibliche Hälfte der Menschheit liest ja nicht nur Frauenzeitschriften. Das ist lediglich Unterhaltung und Information für die kleinen Pausen im Leben.

Der „Brigitte“-Chef Andreas Lebert behauptet, dass „Brigitte“ heute nicht mehr beschreibt, was der Mann von der Frau möchte. Es gehe um das, was die Frau selbst will. Selbstfindung statt Zurichtung. Idealisiert er da ein bisschen?

Doch, das stimmt schon. Frauen haben mittlerweile den Anspruch auf ein Stück eigenes Leben, so hat es Elisabeth Beck-Gernsheim einmal genannt. Diese Konzentration auf das Selbst ist über die Cosmopolitan nach Deutschland gekommen. Das prägt heute die Zeitschriften, die Frauen von der Mittelschicht an aufwärts ansprechen. Die anderen allerdings weniger. Man muss ja auch die Ressourcen haben, um am Selbst zu arbeiten.

Die Arbeit am Selbsttuning, also die fünf tollsten Tipps für dieses und die sieben goldenen Regeln für jenes, ist das Emanzipation oder der Ersatz für Emanzipation?

Frauenzeitschriften sind niemals Vorreiterinnen der Emanzipation. Sie begleiten den Wandel, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wie lege ich mein Geld an? Wie sichere ich die nicht eheliche Lebensgemeinschaft ab? Sie bieten auch Vorbilder: Frauen die etwas gemeistert haben. Grundsätzlich folgen Frauenzeitschriften aber dem Prinzip der positiven Perspektive: Kein Problem ist unlösbar. An allem kann gearbeitet werden, man braucht nie den Mut zu verlieren.

Aber das bleibt auf der individuellen Ebene, oder? Fordert „Brigitte“ Ganztagsbetreuung für alle?

Das ist das Problem. Wenn man politische Strukturen kritisiert, kann man das Prinzip der positiven Perspektive nicht verfolgen. Mitte der Siebzigerjahre hatte Brigitte mal eine politische Phase. Aber was sollte sie dann machen? Immer weiter kritisieren? Es änderte sich ja nichts. Also ging sie wieder auf Selbsthilfekurs.

Können Zeitschriften mit dem „Brigitte“-Image überhaupt politisch eingreifen?

Doch, sie können. 1991 haben sich zwölf Frauenzeitschriften zusammengetan, von Emma über Brigitte bis zu Bild der Frau, und eine Paragraf-218-Kampagne für die Fristenlösung gemacht. Das ist nicht in die Presseannalen eingegangen, weil es eben „nur“ Frauenzeitschriften waren. Aber es war eine bemerkenswerte Aktion. Das sind natürlich Ausnahmen. Brigitte ist nicht Emma.

„Brigitte“ besticht durch dezenten Schönheitsterror in Anzeigen, Cremetests und Schlankheitskuren auf der einen Seite. Auf der anderen Seite warnen die redaktionellen Beiträge vor Mager- und Kaufsucht. Bildet „Brigitte“ die ganz normale Schizophrenie der Frau von heute ab?

Sie bildet die ganz normale Schizophrenie einer Publikumszeitschrift zwischen den Interessen der Anzeigenkunden und der LeserInnen ab. Dabei versucht gerade Brigitte, die Balance zu halten. Diät ja, aber eine gesunde. Anti-Falten-Creme vielleicht, aber ohne falsche Versprechungen.

Hat sich das Blatt verändert, seit mit Andreas Lebert erstmals seit langer Zeit wieder ein Mann Chef ist?

In der Brigitte wurde vor kurzem Anke Engelke sehr persönlich angegriffen. So etwas ist absolut untypisch, weil Frauenzeitschriften darauf achten, Frauen nicht abzuwerten, und schon gar nicht unter der Gürtellinie. Ob sich hier ein grundsätzlicher Kurswechsel andeutet, müsste systematisch untersucht werden.

In letzter Zeit gibt es immer mehr Konkurrenztitel, die vor allem die jüngeren Leserinnen wegschnappen. Verabschiedet sich „Brigitte“ mit der mittlerweile 46-jährigen Durchschnittsleserin langsam nach oben aus dem Markt?

Die Zielgruppe hat sich sehr stark ausdifferenziert, und darauf haben verschiedene neue Titel reagiert. Brigitte ist eine Ausnahme, weil sie immer noch ein sehr breites Publikum anspricht. Das wird immer schwieriger. Deshalb hat sie die verschiedenen Ausgründungen, um diese Leserinnen zu binden: Young Miss oder Brigitte Woman, für die „Frau ab vierzig“, die sich wohl eher an die Frau ab fünfzig wendet. Die größte Gefahr für die Mutter aller Frauenzeitschriften ist, dass sie mit ihren Leserinnen altert. Das fängt Brigitte Woman auf interessante Weise auf. Sie besetzt Felder, die eigentlich Non-Themen für Frauenzeitschriften sind: das Altern und alles, was damit zusammenhängt. Das ist wirklich neu.

„Brigitte hat also Chancen, mit ihrem etwas trutschigen Image weiterhin mit den glamouröseren Zeitschriften mitzuhalten?

Ich wundere mich selber ein bisschen, dass sie noch so viele LeserInnen hat. Die Auflage liegt immer noch weit vor allen anderen, bei gut 800.000. Ich glaube, sie verkörpert das, was die „Tagesschau“ unter den Nachrichtensendungen ist. Sie hat sich das Image erarbeitet, seriös und handfest zu sein. Das kann sie in die Waagschale werfen, und das hält noch eine Weile.