Umfragen deuten auf Trendwende in Indien

Die Siegeshoffnungen der Regierungspartei BJP bei den laufenden Parlamentswahlen sind deutlich gedämpft

MinisterpräsidentVajpayee präsentiert sich als Garantder Stabilität

DELHI taz ■ In den indischen Bundesstaaten Kaschmir, Rajasthan, Uttar Pradesh, Madhya Pradesh und Bihar wählt die Bevölkerung heute ihre Abgeordneten für das Parlament in Delhi. Am 10. Mai findet der letzte Termin der landesweit aus sicherheitspolitischen und organisatorischen Gründen an fünf Daten durchgeführten Wahl statt, bevor ab 13. Mai die Stimmen ausgezählt werden.

Schon jetzt wird in der Hauptstadt Delhi über Koalitionen für eine Regierungsbildung spekuliert. Die Spitzenpolitiker der regierenden hindunationalistischen BJP lassen alle Kleinparteien außerhalb der bisherigen Regierungsallianz wissen, dass sie als mögliche neue Partner in der Regierung gern gesehen wären. Auch die Opposition, vor einigen Wochen noch als chancenlos abgehakt, spielt mit dem Regierungsgedanken. H.S. Surjeet von der KPI(M), als eifriger Allianzenschmied der BJP-Gegner bekannt, lässt seine Kontakte spielen, um eine mögliche Koalition unter Führung der Kongresspartei – mit oder ohne Sonia Gandhi als Premierministerin – auszuloten und Regional- und Kastenparteien vor den Lockrufen der BJP zu warnen.

Schuld am überraschenden Stimmungswechsel haben die Umfragen, die fünf TV-Sender unter den Wählern der ersten drei Runden gemacht haben, als diese aus den Wahllokalen traten. Diese Prognosen zeigen nicht den vorausgesagten grandiosen Wahlsieg der BJP und ihrer Partner an, sondern einen nur äußerst knappen Sieg der Regierungsallianz. Statt der erwarteten Zweidrittelmehrheit könnte ihr Anteil von rund 300 Sitzen gar unter die einfache Mehrheit von 273 fallen. Dies würde die Kongresspartei und ihre Partner noch lange nicht zu Siegern machen, denn rund 100 der insgesamt 543 Mandate dürften an unabhängige Regionalparteien fallen.

Die Aussicht auf eine Niederlage des Erzfeinds hat die Opposition beflügelt und in der BJP Ernüchterung ausgelöst. Offiziell tut sie die Prognosen als unwissenschaftlich ab und verweist auf die letztjährigen Regionalwahlen, deren Voraussagen falsch waren. Doch drängt sie ihre Wahlkämpfer, unabhängige Parteien von Kritik auszusparen und ihnen die Regierungsbeteiligung offen zu halten.

Premierminister Atal Behari Vajpayee appelliert nun noch stärker an wichtige Wählerblöcke wie die Muslime. Er verspricht den Minderheiten Sicherheit, wobei die Warnung mitschwingt, dass die BJP als Oppositionspartei wieder einen schärferen Hindukurs steuern könnte. Die Parteistrategen stellen sich auch die Frage, ob ihre Kampagne eines nationalen Wohlgefühls zu weit gegangen ist, indem sie den Vergleich mit der allgegenwärtigen Armut geradezu herausforderte.

Auch wird eingeräumt, dass der Wähler die unflätigen Angriffe auf Oppositionsführerin Sonia Gandhi wenig goutierte. Die BJP hofft nun, dass sich die Opposition bald über die Frage eines gemeinsamen Kandidaten für den Premierministerposten zerstreitet. Die BJP setzt auch darauf, dass die Umfragen ihre Stammwähler mobilisieren, von denen viele siegessicher den Urnen bisher ferngeblieben waren.

Die Möglichkeit, dass die Prognosen während der gestaffelten Urnengänge die Wähler beeinflussen könnten, beschäftigte bereits das Oberste Gericht. Es gab aber dem Argument statt, wonach solche Umfragen zur legitimen politischen Meinungsbildung gehören. Ihre Signalwirkung ist aber nicht zu unterschätzen, wie die Reaktion der indischen Börsen zeigt. Die reagierten auf die Scheinresultate der ersten drei Wahlgänge mit einem scharfen Kursrückgang. Investoren befürchten, dass eine Pattsituation nach den Wahlen dem Land eine Phase schwacher Regierungen wie vor acht Jahren bringen könnte, als Reformen zum Spielball politischer Positionskämpfe wurden. Vajpayee warnt vor dieser Gefahr und präsentiert sich jetzt dem verbliebenen Drittel der Wähler als Garant der Stabilität. BERNARD IMHASLY