O‘zapft bleibt‘s

Der Benzinpreis ist in Deutschland so hoch wie noch nie. Am Tankverhalten der Deutschen wird das nichts ändern. Am Fahrverhalten auch nicht. Denn Mobilität ist ein Menschenrecht, das uns teuer ist

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Warum Shell seine Benzinpreise immer in der Nacht zwischen drei und fünf Uhr morgens ändert, ist mir nicht bekannt. Von meinem Küchenfenster aus fällt der Blick als Erstes auf die Shell-Anzeigetafel. Heute: Super Bleifrei 115,9. Gestern Abend waren es noch 118,9. So ein Ärger aber auch, hatte ich doch in Erwartung noch höherer Preise den Zweitwagen voll getankt.

Aus Küchenfenstersicht lässt sich am Tankverhalten der Deutschen keine Veränderung bemerken, seit der Liter Sprit so viel kostet wie dieselbe Menge durchaus trinkbaren toskanischen Rotweins. Während diese Zeilen entstehen, sind die Zapfsäulen an meiner Tankstelle durchschnittlich gut belegt. Die Männer stehen oft etwas breitbeinig mit den Händen in der Hosentasche neben ihrem Wagen und schauen nach anderen Autos. Frauen tanken anders. Sie starren wie gebannt auf die sich drehenden Zahlen der Zapfsäule. An der davor liegenden Ampelkreuzung stellt kein Fahrer sein Auto während der Rotphase ab, quietschend starten die tiefer gelegten Fiestas aus den umliegenden Dörfern, als könnten ihre Besitzer nicht lesen.

Laut einer Forsa-Umfrage vom Wochenende wollen 37 Prozent aller Deutschen weniger Auto fahren. Eine Willenserklärung oder besser gesagt: eine Unwillenserklärung. Ein Fünftel der Befragten „erwägt die Bildung von Fahrgemeinschaften“. Erwägen ist ein schönes Wort. Es soll auch welche geben, die erwägen, beim nächsten Auto ein spritsparenderes Modell zu kaufen.

Frau Pieper (FDP) hat in der Chemnitzer Freien Presse die sofortige Senkung der Ökosteuer gefordert. Für die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Bürger die richtige Adresse. Denn ohne den Steueranteil läge der Benzinpreis heute nur bei 40 Cent. Tatsächlich schlucken rund 65 Cent von jedem Liter die Mineralöl- und die Ökosteuer. Fehlen zwar noch zehn Cent, Frau Pieper. Aber bei der FDP verschwindet ja bekanntlich immer mal wieder Geld. Die Bundesregierung jedenfalls ist an der aktuellen Preissteigerung ausnahmsweise einmal nicht schuld. Sondern, sagt der Hamburger Öl-Experte Heino Elfert, vor allem die US-Amerikaner. Denn während der Rohölpreis seit Jahresbeginn um 17 Prozent anstieg, kletterte der Benzinpreis am Markt von Rotterdam in der gleichen Zeit um 43 Prozent. Das, so Elfert, „weil die Amerikaner ihren Konsum jährlich um fünf Prozent steigern“. Die Raffinerie-Kapazitäten reichten derzeit nicht aus.

Schon seit mehreren Jahren kaufen die USA im Frühjahr in Europa Benzin, weil in der Auto-Reisezeit deutlich mehr Sprit in den USA verbraucht wird als in den Wintermonaten. Amerikanische Mineralölfirmen füllen auf diese Weise ihre Lager auf, was dann die bekannten Folgen bis hin zu meiner Shell-Tankstelle hat. Der Durchschnitts-Deutsche fährt nach einer Shell-Statistik 11.400 Kilometer im Jahr. Dafür braucht er im Schnitt 960 Liter Sprit. Macht bei einer Steigerung des Benzinpreises um zehn Cent etwa acht Euro im Monat aus.

Zu Hause bleiben ist keine Lösung. Mobilität ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte sind uns teuer. Warum sonst ist der Anteil der Vierrad-getriebenen „Sport-Utility-Vehikels“ (Geländewagen) in Deutschland dasjenige Marktsegment, das im vergangenen Jahr mit fast 30 Prozent Steigerung die höchsten Zuwachsraten hatte? Der „Drei-Liter-Polo“ steht dagegen vor dem Aus, weil ihn kaum jemand kauft. Tanken, Schimpfen und Erwägen – das ist der Deutschen Lieblingsbeschäftigung.

Mein Erstwagen fährt mit Erdgas. Kostet pro Kilo 69 Cent und ist damit in den Verbrauchskosten fast zwei Drittel billiger als ein herkömmlicher Wagen. Sofern man allerdings in Deutschland eine Tankstelle findet. 419 gibt es zurzeit, Tendenz langsam steigend. Sehr langsam. Weil viele erst noch erwägen, ihr Auto umrüsten zu lassen. Der Tankvorgang dauert ungefähr vier mal solange, da man an den meisten Erdgas-Tankstellen noch ein längeres Schwätzchen mit dem Tankwart einrechnen muss. Viele dieser Zapfsäulen stehen nämlich auf dem Gelände der kommunalen Energieversorger. Erst den Pförtner begrüßen, dann die Klingel läuten und warten, bis die blaue Latzhose kommt und das Gas einfüllt. Als Gas-Fahrer freut man sich natürlich heimlich über die gestiegenen Benzinpreise. Aber nur heimlich – und gibt Vollgas.