Die Durchsetzungsstarke gibt auf

Die Journalistin Lucia Annunziata tritt von ihrer Funktion als Präsidentin des italienischen Staatssenders RAI zurück

Finster schaute die bisherige RAI-Präsidentin Lucia Annunziata drein, als sie am Dienstagnachmittag ihren sofortigen Rücktritt von der Spitze des italienischen Staatssenders bekannt gab. Was die oppositionsnahe Journalistin verlas, war die Bilanz eines völligen Scheiterns. Angetreten war sie vor 14 Monaten als „Garantin“ des senderinternen Pluralismus und der Rechte der Opposition, an der Spitze eines Verwaltungsrates, in der neben ihr vier regierungsnahe Vertreter saßen.

Keine schien so geeignet wie Annunziata für die Mission Impossible, in Zeiten völliger Berlusconi-Übermacht dem Staats-TV RAI wenigstens einen Rest Unabhängigkeit zu bewahren. Lucia Annunziata hatte seit 1979 für die linke Tageszeitung Il Manifesto aus Nicaragua und den USA berichtet und dann als Amerika-Korrespondentin für die Blätter Repubblica und Corriere della Sera gearbeitet. Außerdem war sie intime Kennerin der RAI. Dort war sie 1996 einige Monate Chefredakteurin der Nachrichten von RAI3 und in den Folgejahren Moderatorin eines politischen Radiomagazins. Wichtiger noch: Lucia Annunziata gilt als wenig konfliktscheu und durchsetzungsstark.

Doch gleich nach ihrem Amtsantritt erlebte sie, dass gegen die rechte Mehrheit im Verwaltungsrat und gegen den fürs operative Tagesgeschäft verantwortlichen Berlusconi-treuen Generaldirektor Flavio Cattaneo nichts durchzusetzen war. So hatte sie die Rückkehr zweier nach einen Berlusconi-Ukas herausgesäuberter Journalisten verlangt – Cattaneo stellte sich taub. Sie durfte sich regelmäßig im Verwaltungsrat überstimmen lassen, wann immer es um Zensur im Berlusconi-Geist ging. Selbst der Ausfall Cattaneos, Annunziata „mit Arschtritten“ aus dem Sender zu jagen, fand die Billigung des Verwaltungsrates: gefehlt habe nicht der Grobian, sondern Annunziata, die eine „interne Diskussion“ publik gemacht habe.

Am Dienstag war das Maß voll. Der Verwaltungsrat hatte eine Berufungsliste für 43 Chefpositionen in der RAI zur Absegnung vorliegen – und alle Kandidaten stammen aus dem Berlusconi-Lager. Ein bunter Strauß von Ex-Managern der Berlusconi-Privatholding Mediaset, dazu von Gewährsleuten der drei Berlusconi-Koalitionsparteien, besetzt fast alle strategischen Positionen im Sender. Die Folgen: Im Europawahlkampf wirkt die RAI wie die Berlusconi-Networks als Propagandakeule der Regierung. Da wollte Lucia Annunziata nicht mehr als linkes Feigenblatt des rechten Durchmarschs mitspielen: Ihr bleibe nur der Rücktritt, denn die Nominierungsrunde sei „der letzte Akt einer organisierten Kampagne der Regierungsmehrheit, die auf die vollkommene Kontrolle der RAI zielt“. MICHAEL BRAUN