„Das US-Militär hat aus Vietnam nichts gelernt“, sagt Bernd Greiner

Die Folter der US-Armee im Irak ist kein Rückfall ins Mittelalter – sie zeigt die Kehrseite der Moderne

taz: Das Pentagon versucht, die Folter der US-Armee im Irak zu Einzelfällen zu verkleinern. Wird es damit Erfolg haben?

Bernd Greiner: Das ist unwahrscheinlich. Der Report von General Tabuga zeigt klar, dass die Führung der US-Armee in diese Verbrechen verstrickt ist. Und zwar nicht nur General Janis Karpinski, die für die Gefängnisse verantwortlich war, sondern die gesamte US-Armee im Irak. Es gab genug Hinweise von Soldaten an Offiziere. Die wurden nicht weitergeleitet. Die Institution Militär hat versagt.

Es geht also nicht um Fehler, sondern um eine Struktur?

Ja. Das Militär hat offenbar nichts aus Vietnam gelernt. Man hat Soldaten in den Irak geschickt, ohne sie zu instruieren, wie man mit Gefangenen laut Genfer Konvention umzugehen hat. Die Angeklagten hatten Carte blanche und haben ausgeführt, was ihre Vorgesetzten befohlen haben. Offenbar verhält sich die US-Armee unter Druck immer gleich: Wenn sie in die Defensive gerät, greift sie zu Folter und Repression.

Woher diese Lernunfähigkeit? Das US-Militär versucht seit Jahren intern einen PC-Kanon durchzusetzen. Doch im Ernstfall nutzt das nichts.

Richtig ist, dass es als Reaktion auf die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam Lehrgänge in Kriegsrecht für Rekruten und Offiziere gab. Es gab auch große PR-Anstrengungen, dies als substanzielle Veränderung zu verkaufen. Aber offenbar gingen diese Schulungen nicht weit genug.

Handelt es sich nicht auch um ein Phänomen des entgrenzten Krieges gegen den Terror? Die Folterpraxis im Irak ist die logische Verlängerung von Guantánamo.

Ja, Guantánamo ist die andere Seite der Medaille. Gefangene werden dort wie Freiwild behandelt – angesichts dessen nutzen auch Lehrgänge über die Genfer Konvention nicht viel.

An den Folterungen waren Angestellte privater Firmen beteiligt. Hat das „Outsourcing“, der Einsatz von Söldnern, die Folter ermöglicht?

Ja, das ist eine weitere Parallele zu Guantánamo. Auch dort werden „Private Contractors“ bei Verhören eingesetzt. Diese Leute können vor kein US-Militärgericht gestellt werden und sind faktisch jeder Rechtsprechung entzogen.Wir haben es mit der bewussten, vorsätzlichen Schaffung eines rechtsfreien Raumes zu tun.

Nun wird ausgerechnet Geoffrey Miller, der Chef von Guantánamo, Nachfolger von Janis Karpinski als Leiter der US-Gefängnisse im Irak. Auch kein Zeichen für Lernfähigkeit.

Absolut nicht. Wenn die Hintergrundberichte stimmen, wurden Verhörspezialisten, die man auch Folterexperten nennen kann, aus Guantánamo in die besagten irakischen Gefängnisse geschickt. Dort haben sie, in ihren Augen effektiv, den Willen von Gefangenen gebrochen – durch Androhung bzw. Anwendung von Folter.

Für Empörung haben vor allem die Fotos der geschundenen Körper gesorgt – der Eindruck, den sie vermitteln, lautet: Es geht um Entgrenzungen, auch um Sex. Stimmt das?

Es geht auch um sexuelle Gewalt als Mittel des Krieges. Vergewaltigung vor allem von Frauen ist ein Mittel, um den Gegner zu demütigen. Etwas Ähnliches ist in den Gefängnissen geschehen – und zwar mit Männern als Opfer. Es ist ja bekannt, dass gerade in der islamischen Kultur sexuelle Demütigungen die denkbar größte Schamverletzung bedeuten. Das war Vorsatz, kein Zufall.

Warum haben die Reservisten diese Fotos gemacht?

Das sind offenbar private Trophäen. Und sie sind Zeichen für die moralische Regression der US-Armee im Irak.

Sie erinnern an die berüchtigten Fotos von Wehrmachtssoldaten im Osten.

Es sind in der Tat Feind- und Erniedrigungsbilder, die an die finstersten Kriege des 20. Jahrhunderts anknüpfen.

Wie nahe sind die Verbrechen in den irakischen Gefängnissen denn an den US-Verbrechen in Vietnam?

My Lai war eine andere Dimension, das ist klar. Fatal ähnlich ist allerdings die Reaktion der Militärführung: Man will die Verantwortung auf ein paar niedere Chargen abwälzen, ein paar Sündenböcke bestrafen und sich selbst reinwaschen. Und auch die politische Führung versucht, in das laufende juristische Verfahren einzugreifen und die Justiz zu beeinflussen. Rumsfelds Erklärung, es handele sich nicht um Folter, sondern nur um Demütigung, ist nichts anderes, als der Versuch, die Anklage zu verwässern. Genau das Gleiche passierte nach My Lai.

Die Frage bleibt: Trotz Hightech-Krieg, trotz des Versuchs, in der Armee zivile Standards durchzusetzen, gibt es kein Militär ohne geplante Gewaltexzesse.

Das Militär ist dafür immer anfällig. Das weiß es auch. Die Geschichte der Kriege besteht ja auch darin, die Gewalt mit Regeln einzuhegen. Der Gewaltmonopolist ist aber immer gefährdet, diese Grenzen und Regeln zu überschreiten. Diese Gefahr ist nie zu bannen. Bei dem Gewaltmonopolisten USA kommt hinzu, dass er selbst durch das Outsourcing, durch die Anwerbung von an keine Regeln gebundene Söldner, sein Gewaltmonopol selbst untergräbt. Das verschärft das Problem der Entgrenzung von Gewalt ungemein.

Jemand hat für den Antiterrorkrieg die Formel gepägt, dass dies die Konfrontation des 21. mit dem 15. Jahrhundert sei. In dem 21. scheint aber, angesichts dieser Bilder, sehr viel Mittelalter zu stecken. Oder?

Nein, das beurteile ich anders. Wir sehen auf diesen Fotos nichts Mittelalterliches, sondern etwas gespenstisch Modernes. Die Idee, dass wir das finstere Mittelalter dank des zivilisatorischen Fortschritts hinter uns gelassen haben, verdeckt mehr als dass sie erklärt. Wir müssen begreifen, dass Folter, Gewaltexzesse und Kriegsverbrechen nichts Archaisches sind, sondern die Kehrseite der Moderne. Sie gehören zum Prozess der Zivilisation.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE