CSD-Paraden – Heimatumzüge der Homos

Auch wenn das politische Klima uns nicht mehr kollektiv auf die Straße treibt – Schwulen- und Lesbendemos sind populärer denn je

Inzwischen hat sich der Christopher Street Day zu einem Zweig der Kulturindustrie entwickelt. Und wie: Auch wer klassisch-heterosexuell empfindet, aber nicht zu Spießern gezählt werden will, möchte an den Volksfesten teilhaben, die von Schwulen und Lesben veranstaltet werden. Und zwar traditionell im Juni, denn am Ende dieses Monats des Jahres 1969 („Summer of Love“) wehrten sich Tunten in der New Yorker Stonewall-Bar gegen Polizeirazzien und Willkür überhaupt.

Aus dem Geist des Kapitalismus (und in dessen Herz, New York eben) wurde die moderne Homosexuellenbewegung geboren – denn die nämliche Bar in der Christopher Street war ja kein autonomes Homozentrum, sondern eine Stätte, die auf Umsatz und Profit achten musste, um nicht in Konkurs zu gehen. Deshalb geht eine Kritik am Kommerzialismus der Homobewegung auch ins Leere: Popularisiert wurden die CSD-Umzüge erst durch die Barbesitzer der Gay Community – die politische Bewegung früherer Tage mied ja die Integration der (so hieß das früher fundamentalistisch) entfremdeten Subkultur.

Und weil Homosexuelle heute irgendwie bis in die mittigste Mitte der Gesellschaft auf grundsätzliche Okayness stoßen, sind die CSD-Paraden auch so beliebt: Allein in Berlin werden am Wochenende hunderttausende vom Ku’damm bis zur Siegessäule wandern. Und das ist auch hübsch so.

Und weil es noch schöner geht, wird es in Kreuzberg auch wieder einen alternativen Umzug geben, der vor allem deshalb nichts mit dem CSD-Marsch zu tun haben will, weil dort (vermeintlich oder nicht) Politik keinen Platz habe. In Wirklichkeit ist es doch so: Der größere Umzug ist die Bühne für alle Waschbrettbauchfreunde, der kleinere die Plattform für alle, die sich zur Homowelt auch noch was denken und dies nicht für sich behalten wollen.

Alles in allem sind sämtliche Umzüge Teile eines inneren Heimatkalenders Homosexueller. Und zwar weltweit. So global, dass manche Männer (und wenige Frauen) ihren Jahresurlaub Anfang Juni beginnen und bis Ende August zwei Dutzend CSDs abgetingelt haben. Das klingt zwar sterbensöde (vor allem, weil sie es Jahr für Jahr machen – diesmal endet die europäische Tournee beim Europride am 23. August in Manchester), aber sie finden es gut. Und dann sollen sie es tun: Sie werden diese Route an mobiler Heimatlichkeit brauchen, wenn sie keine immobile daheim finden können.

Dass die CSDs in Deutschland nicht mehr so arg politisch aufgeheizt wirken, liegt nicht an den Organisatoren: Die Zeiten, die sind nicht mehr so. Als Heimattreffen bleiben sie wichtig. JAF