Warnung vor der „Wunderwaffe“

Die Forderung nach der DNA-Probe als erkennungsdienstlicher Standard stößt bei Experten auf schärfste Bedenken. Manipulationen sind möglich, klassische Ermittlungsmethoden könnten vernachlässigt oder sogar beeinflusst werden

von KAI VON APPEN

Die moderne Kriminalistik entwickelt immer ausgefeiltere Methoden, Straftäter durch Indizien zu überführen. Neben dem klassischen Fingerabdruck und der verfeinerten Technik der Faserspuren-Analyse tritt immer häufiger der „genetische Fingerabdruck“ in den Mittelpunkt kriminaltechnischen Interesses. Forderungen werden laut – wie jüngst durch Hamburgs Polizeipräsident Udo Nagel und am vergangenen Donnerstag auf der Justizministertagung in Glücksburg erneut diskutiert –, Speichelproben als Standardprozedur bei der erkennungsdienstlichen Behandlung einzuführen. Doch Kritiker warnen nicht nur vor dem Grundrechtseingriff und dem Wegfall der richterlichen Anordnung: Die DNA-Analyse ist keine „ermittlungstechnische Wunderwaffe“.

Zwar sei, wie der DNA-Kritiker und stellvertretende Datenschutzbeauftragte in Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, einräumt, rein technisch „die Fehlerquote relativ gering“: Gen-Material transportierende Absonderungen eines Menschen – von Blut über Haare, Schweiß bis hin zu Speichelausflüssen – können mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu drei Millionen treffsicher einer Person zugeordnet werden, falls es nicht zu handwerklichen Fehlern wie Verwechslungen kommt. „Das zentrale Problem ist aber, dass DNA-Funde an einem Tatort überhaupt keine Aussagen zum Täter zulassen“, konstatiert Weichert.

Wer am Tatort war, muss nicht der Täter sein

DNA-Experte Heiner Busch, Vorstandsmitglied von CILIP – Komitee für Grundrechte und Demokratie, bekräftigt dies: „Jemand, der am Tatort war, muss nicht der Täter sein.“ Der genetische Fingerabdruck ersetze keinesfalls das kriminalistische Handwerk. Es bestehe sogar die Gefahr, dass eine DNA-Analyse die klassischen Ermittlungen beeinflussen, wenn nicht sogar manipulieren könne. Busch: „Das Alibi ist nichts, die DNA ist alles.“ Daher müsse die Form der klassischen Ermittlungsarbeit auch zur Entlastung erhalten bleiben.

Denn Entlastendes im Umkehrschluss – wenn keine DNA-Spuren gefunden werden, kann eine Täterschaft ausgeschlossen werden – hat ein Verdächtiger in der Regel nicht zu erwarten. „Da würde man argumentieren: Der raffinierte Täter ist sich über die Möglichkeit der DNA-Analyse im Klaren“, sagt Weichert, „er könnte deshalb Mundschutz, Haarnetz oder Handschuhe getragen haben.“ Es bestehe im Gegenteil sogar die Gefahr, durch einen anderen geschickt belastet zu werden, indem „der Täter eine falsche DNA-Spur legt“, zum Beispiel die bewusst hinterlassene Kippe eines Unschuldigen am Einbruchsort. Lediglich „in seltenen Fällen“, sagt Weichert, könne der genetische Fingerabdruck tatsächlich entlasten – „zum Beispiel bei Vergewaltigungen, wenn Sperma-Spuren vorhanden sind und durch die DNA-Analyse eine Täterschaft ausgeschlossen werden kann.“

Doch gerade bei Vergewaltigungen, so gibt Busch zu bedenken, ist die DNA als Beweismittel oft gar nicht notwendig. „Meistens stehen die Personen fest, man kennt sich.“ Hier liege mehr das juristische Problem, die zumeist als Schutzbehauptung beteuerte Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs zu widerlegen. Und obwohl die Anwendung der molekular-genetischen Wissenschaft im Bereich Sexualdelikte plausibel erscheine, warnt Busch vor dem Irrglauben, „dass die DNA alle Vergewaltigungen verhindern wird“, und vor der Vorstellung, damit könnten „Kinderschänderringe gesprengt“ werden. „Das kommt nur sehr selten vor.“

„Erfassungen werden dramatisch steigen“

Für Wolf Dieter Reinhard, Vorsitzender der Vereinigung Hamburger Strafverteidiger, liegt das Problem des genetischen Fingerabdrucks denn auch nicht in der „naturwissenschaftlichen Tauglichkeit, sondern in der Anwendung durch Gerichte“. Er habe in seiner Praxis immer wieder registriert, dass Richter und Staatsanwälte, aber auch Verteidiger beim Vortrag der Gutachten „aufhören zu denken, wenn es denn heißt, ‚es besteht eine Wahrscheinlichkeit von eins zu drei Millionen‘“.

Dabei räumen auch Kritiker wie Heiner Busch durchaus den Nutzen der DNA-Analyse ein. So hätten in der Schweiz Kriminalisten bei Analysen unterschiedlicher Tatorte Übereinstimmungen feststellen und so überhaupt erst eine Zuordnung von Straftaten vornehmen können. Aber dabei handelte es sich um Tatort-spuren und nicht um willkürliche Daten aus der „Reservevorhaltung“. Die Kritiker warnen indes davor, nunmehr auch Kleinkriminelle oder Verdächtige ohne dringenden Tatverdacht ins Gen-Register aufzunehmen und somit „Datenschrott“ zu produzieren. „Die logische Folgerung ist, dass die Erfassungen dramatisch steigen“, sagt Busch.

Schon jetzt sind 250.000 Personen in der Gen-Datei gespeichert – monatlich kommen 6000 neue Proben hinzu. Eine Ausweitung wäre laut dem grünen Bundestagsabgeordneten und Anwalt Christian Ströbele „kriminalistisch nicht begründbar, uferlos, mangels Finanz- und Laborkapazitäten praktisch undurchführbar sowie unverhältnismäßig und durch das Grundgesetz untersagt“. Und Reinhard ergänzt: „Eine gefährliche Bevölkerungskontrolle ungeahnten Ausmaßes.“