Theorie und Praxis

Trotz eines anders lautenden OLG-Urteils will die Ausländerbehörde von ihrer Praxis, Personen zwecks Abschiebung festzunehmen, nicht lassen

von ELKE SPANNER

Alltag in der Hamburger Ausländerbehörde: Jemand kommt zur Duldungsverlängerung und bekommt statt eines Stempels in seinen Pass Handschellen angelegt. Erst dann wird ein Haftrichter dazu befragt, ob die Person zum Zwecke der Abschiebung festgenommen werden darf. Zwar hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) dem nun eine juristische Absage erteilt: Eine Festnahme ist Freiheitsberaubung, und die darf nur ein Richter, nicht aber der Sachbearbeiter in einem kleinen Amt anordnen. Offenbar aber ist Rechtsprechung die eine Sache, die Anwendung des Rechtes eine andere: Die Ausländerbehörde hält an ihrer bisherigen Praxis fest.

Rein formaljuristisch darf sie das auch. Denn Urteile ergehen immer in einem konkreten Einzelfall, und nur für diesen entscheidet das Gericht über Recht und Unrecht. Darauf beruft sich die Ausländerbehörde: Das Urteil des OLG von Anfang April, sagt Behördensprecher Norbert Smekal, „hat für uns keine Bindungswirkung“. Die Konsequenz: Jeder einzelne Ausländer, der in der Behörde unvermittelt festgenommen wurde, müsste seinen Fall neu vor Gericht bringen und alle Instanzen durchlaufen, damit die Gerichte entscheiden, was bereits entschieden ist: Dass für die Festnahme keine Rechtsgrundlage vorhanden ist.

Dabei gilt: Je höher die Instanz, desto mehr kann der Entscheidung auch grundsätzliche Bedeutung zukommen. Und in diesem Fall hat das OLG allgemein durchgeprüft, welche Rechtsgrundlagen Festnahmen in der Ausländerbehörde rechtfertigen könnten. Das Ergebnis: keine.

Ein Gesetz, das diesen Sachverhalt explizit regelt, gibt es nicht. Im Ausländergesetz steht sogar ausdrücklich, dass allein ein Richter über die Inhaftierung zur Abschiebung entscheiden darf. Bleibt der Rückgriff auf das Polizeigesetz. Doch auch dessen Anwendung hat das Gericht abgelehnt: Das würde voraussetzen, dass die „unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat“ durch den Ausländer droht. Davon aber könne nicht ausgegangen werden, wenn jemand zur Duldungsverlängerung in die Ausländerbehörde kommt, im Gegenteil: Wer eine Duldung beantragt, wolle ja gerade nicht die Straftat des illegalen Aufenthaltes begehen, sondern diese vermeiden.

Dennoch beruft sich die Behörde weiterhin auf das Polizeigesetz und kündigt an, die Ingewahrsamnahmen fortzusetzen. Rechtsanwalt Ulf Dreckmann, der das OLG-Urteil erstritten hat, hält dagegen, dass die Mitarbeiter des Amtes eine Freiheitsberaubung und damit eine Straftat begehen, wenn sie in Kenntnis des Urteils Ausländer in ihrer Behörde festnehmen lassen. Dass das OLG-Urteil eine reine Einzelfallentscheidung gewesen sein soll, bezeichnet er als absurd: „Es ist die höchste Instanz in Hamburg. An dem Urteil kommt die Ausländerbehörde nicht vorbei.“