Osloer Atmo-Magier

Gehört: „The White Birch“ werben in der Tanzhalle für nicht ausschließlich herbstliche Befindlichkeit

Spät erscheinen The White Birch auf der kleinen Winkelbühne der Tanzhalle. „Air“, das instrumentale Intro der aktuellen CD Star Is Just A Sun, genügt, um die Anwesenden in aufmerksames Schweigen zu versetzen. Zugleich ist Luft tatsächlich das, was nach Stunden des Wartens fehlt, denn es ist voll geworden. Nicht brechend, aber immerhin – der Reiz, eine der wenigen lauen Hamburger Sommernächte draußen zu verbringen, ist nicht zu unterschätzen.

Mir fällt eine Szene von Kaurismäki ein: Mann kommt in fremde Bar, setzt sich hin, ordert mit einem Kopfnicken „wie immer“, der Wirt bringt das Gewünschte. Diese Szene passt nun aber genau nicht auf die zweite Begegnung mit The White Birch, denn: Es ist (beinahe) Sommer. Während die Kritiker das Album großteils als Winter-Soundtrack einsortierten, steht nun der Beweis für seine stimmungsbildende Klima-Unabhängigkeit an. Auch sieht die Band anders aus: Zu Frontmann Ola Flottum, Schlagzeuger Hans Christian Almendingen und Bassgitarren-Geiger Ulf Rodge hat sich Linda Wietfeld von den Osloern Peru-You an die Keyboards gesetzt.

Der hochstirnig-haargehörnte Flottum geht so dicht ans Mikro, dass seine englischen Worte oft nur zu erahnen sind. Mit seinem hohen Gesang und den Klängen der Instrumente schafft er eine so seltsame wie schöne, obertonartige Mehrstimmigkeit. Und das sehr, sehr langsam. Star Is Just A Sun wird in geänderter Reihenfolge durchgespielt, die ruhigsten Stücke zuerst. Schon bald macht es sich ein Teil des Publikums auf Sitzkissen bequem – angemessen bei einer Musik, die eigentlich im Liegen eingenommen werden sollte, erzeugt sie doch ein Gefühl wie Halbschlaf, kurz vor dem Hinabgleiten in eine Traumwelt voller weiter Landschaften, einsamer Felsmassive und durch Birkenzweige blitzender Sonnenstrahlen.

Und doch ist keine Sekunde ermüdend oder langweilig, sondern konzentriert und voller Ideen, die sich größte Wirkung verschaffen. Vergleiche mit Codeine, deren letztes Album The White Birch den Namen stiftete, oder auch Talk Talk treffen hinsichtlich der hypnotisierenden Langsamkeit und Melancholie, in Hoffnungslosigkeit möchte man jedoch nicht verfallen.

Die weiteren Stücke sagt Ulf Rodge charmant-holprig in Deutsch an und schlägt den Bogen zur Tanzhalle, in der auch getanzt werden solle. Beim herausragenden „Beauty King“ ist Schluss mit Stillhalten. Der vergleichsweise rasante Rhythmus erlöst aus der wohligen Paralyse, Applaus, Jubel. Nach einer knappen Stunde ist Schluss, aber das macht nichts. Das Paar vor der Bühne bleibt einfach sitzen, langsam weiterküssend in einem norwegischen Klang-Biotop. Und das mitten auf‘m Kiez.

IMKE STAATS