Das Hemdchen wird kürzer

SPD und PDS treffen Sparbeschlüsse: Weniger Polizisten, höhere Kita-Gebühren für Reiche, Flierls „Studienkontenmodell“ und weniger Kleidergeld für heranwachsende Sozialhilfeempfängerinnen

von ROBIN ALEXANDER

In der Nacht zum Donnerstag fasste der Senat neue Sparbeschlüsse. Dabei ging es nicht nur um den Doppelhaushalt 2004/5, sondern auch um mittelfristig wirkende Eingriffe in die Strukturen. Schon im September wird der Senat vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um Hilfen zur Entschuldung durch den Bund zu erwirken. Ein Überblick:

Inneres: Bei der Polizei sollen in den kommenden zwei Jahren insgesamt 550 Stellen abgebaut werden. Zum ersten Mal wagt sich die rot-rote Koalition nicht nur an die Verwaltung, sondern auch an den Polizeivollzug heran. Klaus Wowereit erklärte gestern: „Es wird kein Nachteil bei der Polizeipräsenz entstehen.“ Der Innensenator solle Schichtbetrieb umbauen.

Soziales: „Die Koalition ist der Linie der Sozialsenatorin gefolgt“, freute sich ein PDS-Teilnehmer der Klausurtagung. Tatsächlich wird die Sozialhilfe weder auf Brandenburger Niveau gesenkt, wie es Finanzsenator Sarrazin (SPD) gefordert hatte, noch wird der Sozialhilferegelsatz gedrückt. Gegen beides hatte Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner gekämpft. Auf der Senatsklausur hatte sie gute Karten, da sie eine Absenkung der entgeltfinanzierten Leistungen um 7 Prozent im Konsens mit der Liga der Wohlfahrtsverbände erreicht hatte. Einschnitte für Sozialhilfe gibt es dennoch: Der Senatszuschuss zur S-Karte der BVG soll künftig entfallen, außerdem vereinheitlicht der Senat das Kleidergeld für Sozialhilfeempfänger auf 277 Euro jährlich pro Person. Dies trifft vor allem Heranwachsende: Bisher erhielten Jungen bis 18 Jahre 326 Euro, Mädchen bis 18 Jahre sogar 390 Euro. Beobachter spekulierten, ob diese Sparmaßnahme eher vom Gender-Budgeting oder von der Mode eingelaufener und bauchfreier T-Shirts bei jungen Frauen inspiriert wurde.

Bildung: Es soll Gebührenerhöhungen geben, allerdings nur bei höheren Einkommensgruppen. Einen Vorschlag zur neuen, deutlich differenzierten Staffelung der Kita-Gebühren legt der Senat am 1. Juli vor. Kitas sollen zügig an freie Träger übertragen werden. Bei den Hilfen zur Erziehung sollen die Pauschalen um 8 Prozent abgesenkt werden.

Sportförderung: Von den bisher im Haushalt vorgesehenen 9,5 Millionen Euro werden 2 Millionen gestrichen.

Stadtentwicklung: Der Senat plant eine Mieterhöhung im sozialen Wohnungsbau. Bausenator Peter Strieder (SPD) wurde beauftragt, eine Differenzierung nach Beständen und Wohnlagen zu erarbeiten. Außerdem beschloss der Senat, Sanierungsprogramme für Plattenbauten auslaufen zu lassen. Der Senat verständigte sich auf einen Ausstieg aus den teuren Entwicklungsgebieten.

Wirtschaft und Arbeit: Die Wirtschaftsförderung soll zukünftig eher mit rückzahlbaren Darlehen als mit Zuschüssen arbeiten. Die Arbeitsmarktförderung bleibt bis Mitte 2004 auf gleichem Niveau. Danach soll es zu einer deutlichen Absenkung kommen.

Frauenetat: Frauensenator Wolf muss hier eine Vereinbarung mit den Projekten treffen: Die Zuschüsse sollen im Konsens abgesenkt werden.

Wissenschaft: Der Senat verständigte sich auf das gestern von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) vorgestellte „Studienkontenmodell“. Die Einnahmen sollen zur Hälfte bei den Unis bleiben, die andere Hälfte geht in den Landeshaushalt.

Kultur: Alles hängt am Bundeszuschuss für die Opernstiftung. Kommt der nicht, fusionieren Deutsche und Staatsoper.

Lotto: PDS-Haushälter Carl Wechselberg biss mit der Forderung, die Lottomittel in den Haushalt einzustellen, auf sozialdemokratischen Granit.

Summe: Konkrete Zahlen über Sparsumme und Neuverschuldung will der Senat erst am 1. Juli nennen. Klar ist: Die geplanten 2 Milliarden Euro werden nicht ereicht.

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