Endlich Ruhe im Karton

Statt selbst funktionierende kommerzielle Angebote aufzubauen, verbeißt sich die Musikindustrie weiter in den – nicht nur juristischen – Kampf gegen illegale Musik-Tauschbörsen im Internet – und kriminalisiert dabei regelmäßig deren Nutzer

von CHRISTOPH RASCH

„Bad Beat“ kann durchaus lukrativ sein. Was klingt wie eine Umschreibung für Amateurpop aus der heimischen Garage, ist die in Buchstaben ausgedrückte Rufnummer einer US-amerikanischen „Piracy“-Hotline. Der Betreiber, der amerikanische Musikbranchen-Verband RIAA, wechselt dort – ganz nach dem Tauschprinzip – Geld gegen Informationen ein.

Informationen über die so genannten Piraten nämlich, „die man nicht mehr an ihren Totenkopf-Flaggen und Säbeln“ erkennt, wie es warnend auf der RIAA-Website heißt, sondern solche Piraten, die heimlich Musik-CDs brennen, und solche, die die mehr oder minder sicheren Häfen der weltweiten Internet-Tauschbörsen anlaufen. Bis zu 10.000 Dollar zahlt die RIAA für die erfolgreiche Denunziation. Die Musikindustrie ist unter Druck. Die Umsätze sinken seit Jahren – allein bei den deutschen Firmen im vergangenen Jahr um satte 11,3 Prozent auf rund 2 Milliarden Euro. Ein Viertel ihres Marktanteils haben die Plattenbosse seit 1997 eingebüßt, heißt es – seit Musik aus dem Internet geladen und von CD zu CD kopiert werden könne. Den weltweit rund 650.000 Kunden der kommerziellen Musik-Portale wie Musicnet, Pressplay oder Rhapsody stehen viele Millionen Tauschbörsen-Nutzer gegenüber. Drei Milliarden Songs werden laut Schätzungen im Monat illegal getauscht.

Für die Industrie sind die Übeltäter gefunden. Im Visier der Industrie stehen Online-Tauschbörsen wie KaZaA, Grokster oder Streamcast, auf denen MP3-Musikdateien oder digitalisierte Filme von Nutzer zu Nutzer getauscht werden. Die Industrie hofft auf ein rigoroses Grundsatzurteil. Doch im vergangenen April entschied ein US-Bundesrichter: Die Tauschbörsen selbst sind für die dort gehandelten Inhalte nicht verantwortlich. Ähnlich urteilten auch Richter in Norwegen im Verfahren gegen den Programmierer Jon Lech Johansen, der eine Software zum Knacken des DVD-Kopierschutzes entwickelt hatte: Nur das Kopieren selbst sei illegal – nicht die Umgehung des Codes oder die Bereitstellung von Tausch-Plattformen. „Wir sind selbst gegen Urheberrechtsverletzungen“, sagt Grokster-Chef Wayne Rosso, doch die Plattenindustrie habe „unseren Nutzern den Krieg erklärt“. „Der Kampf geht weiter“, kündigte die RIAA-Vorsitzende Hilary Rosen nach dem Tauschbörsen-Urteil an – mit noch härteren Bandagen, wie die Fachpresse wiederholt vermeldete: Die Konzerne seien dabei, verschiedene Viren zu entwickeln, die die an den Tausch-Networks hängenden Computer infizieren können. Ein „Silence“ genannter Virus etwa soll sprichwörtlich für „Ruhe im Karton“ sorgen – die Software löscht selbständig Musikdateien auf der Festplatte des Benutzers. Schon lange ärgern die Konzerne Raubkopierer mit fehlerhaften und beschädigten MP3-Dateien im Netz. Doch auch mit dem Einschleusen von unbrauchbaren Dateien oder Viren gibt sich die US-amerikanische Musikindustrie nun anscheinend nicht mehr zufrieden: Auch sie mischt jetzt mit beim „Peer-to-peer“ (P2P), beim Direktkontakt der Nutzer von Tauschbörsen. Wer dort seine Songs herunterlädt, muss nun mit persönlich adressierten E-Mails rechnen und damit, dass seine Nutzerdaten von der Musikindustrie erfasst und gespeichert werden – eine Million dieser Warnungen werden pro Woche verschickt. Rechtliche Schritte seien vorerst nicht geplant. Doch es trifft nicht nur die Kleinen: Auch der deutsche Bertelsmann-Konzern ist nach seinem Einstieg bei der Online-Tauschbörse Napster von US-Musikverlagen auf 17 Milliarden Dollar Schadenersatz verklagt worden. Doch diese Methoden, glauben Experten, steigern nicht wirklich die Umsätze der Branche. Nun räche sich, dass die Musikindustrie den Onlinetrend lange verschlafen hat. „Die gesamte Branche sitzt ruhig in der Ecke und macht gar nichts“, glaubt der Analyst Brett Miller vom Brokerage-Unternehmen A. G. Edwards – und die zaghaften Ansätze für ein kommerzielles Musikportal seien bislang alle gescheitert. Jedenfalls bis „iTune“ kam. Der „iTune Music Store“ von Apple sorgte in der Startphase für einen Überraschungserfolg: Mehr als eine Million Songs wurden dort allein in der ersten Woche verkauft. Das Konzept ist dabei denkbar einfach: 200.000 Titel kann der Apple-User bei dem Online Musikdienst legal herunterladen für 99 Cent pro Titel. Apple-Chef Steve Jobs setzt auf Versöhnung: Die Künstler wollen nicht um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden, doch „die Kunden möchten nicht als Kriminelle behandelt werden“.