Müntes Gefühl, Müntes Gesetz

Die Genossen vertrauen Franz Müntefering. Weil er weiß, was er tut. Bei der Ausbildungsplatzabgabe hat er es exemplarisch unter Beweis gestellt

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Franz Müntefering hat vor ein paar Tagen ein großes Interview zum Thema „Gefühle“ gegeben. Darin hat er darüber nachgedacht, warum es in der Politik so wichtig ist, dass einen die Menschen mögen, dass sie einem vertrauen. „Weshalb vertrauen die Menschen dem einen so sehr und dem anderen weniger?“, hat sich Müntefering gefragt. „Wie entsteht dieses Gefühl, aus dem Vertrauen erwächst?“ Und er hat erzählt, dass er oft neben Johannes Rau saß, als dieser eine Rede gehalten habe und er sich währenddessen immer gefragt habe, was der Rau da eigentlich mache, der erzähle doch nur Geschichten, das sei doch keine Rede. Die Leute im Saal seien jedoch immer begeistert gewesen und hätten gesagt: Das ist ein Kerl! Dem kannst du vertrauen! Auf die Frage, warum das so ist, hat Müntefering in dem Interview der Süddeutschen Zeitung auch eine Antwort versucht: „Willy Brandt und Johannes Rau haben zum Beispiel nie vorgegaukelt, sie seien die Größten der Welt, die von allem etwas verstehen. Aber sie haben glaubwürdig vermittelt, dass sie wissen, was sie tun.“

Heute ist Müntefering selbst in der Rolle, in der einst Brandt und Rau waren. Zu ihrem Partei- und Fraktionsvorsitzenden schauen die Genossen auf, er ist ihr Hoffnungsträger. (Der einzige, den sie noch haben.) Er vermittelt ihnen das Gefühl, dass er genau weiß, was er tut. Und wenn Müntefering sagt, die Ausbildungsplatzabgabe kommt, dann kommt sie. Basta.

Und sie kommt ja auch. Am Freitag wird dieses Gesetz, das mit nicht geringem bürokratischem Aufwand jedem Jugendlichen eine Lehrstelle garantieren soll, vom Bundestag verabschiedet. Müntefering hat die Ausbildungsplatzabgabe gegen alle und jeden verteidigt. Gegen den Wankelmut des Bundeskanzlers, der die Maßnahme zwar offiziell verteidigt, dem aber eine freiwillige Lösung des Lehrstellenproblems bis heute lieber wäre. Gegen den Widerstand der SPD-Minister Clement, Eichel, Struck und Schily. Gegen die Kritik in der eigenen Bundestagsfraktion. Gegen den anhaltenden Versuch der SPD-Ministerpräsidenten Beck (Rheinland-Pfalz) und Steinbrück (Nordrhein-Westfalen), einen freiwilligen Lehrstellenfonds auf Länderebene durchzusetzen. Gegen Einsprüche aus der grünen Fraktion. Gegen Braun, Hundt und Rogowski, die Chefs von DIHT, BDA und BDI.

Viel Feind, viel Ehr? Wohl kaum. Das Gesetz musste kommen, weil es unauflösbar mit machtpolitischen Fragen verknüpft war. Müntefering glaubt, diese Ausbildungsplatzabgabe der SPD schuldig zu sein. Der Kanzler hatte das Gesetz in seiner berühmten Agenda-2010-Rede am 14. März 2003 vorgeschlagen. Das Vorhaben, das sich an der sozialdemokratischen Basis großer Beliebtheit erfreut, ist auf dem Bochumer Parteitag im November 2003 mit nur zwei Gegenstimmen beschlossen worden. Ausgerechnet Müntefering, der seit seiner Übernahme des SPD-Vorsitzes im März 2004 immer wieder erklärt, der Partei mehr Geltung verschaffen zu wollen, sollte das Projekt kippen?

Weil Müntefering als neuer SPD-Chef das Gesetz von Anfang an verteidigt hat, wurde die Entscheidung von Woche zu Woche mehr personalisiert und am Ende zur Schicksalsfrage für den Parteivorsitzenden. Alle in der SPD, auch die renitenten Landesfürsten, wissen, dass Müntefering beschädigt und die Regierung ihrem Ende noch ein Stück näher wäre, käme eine gesetzliche Regelung nicht zustande.

Müntefering ist in Sachen Lehrstellenabgabe kein Gläubiger. Mitte der 90er-Jahre, als er in Nordrhein-Westfalen Sozialminister war, lehnte er sie noch ab. „Nicht praktikabel“, ließ er die linken Genossen kühl wissen. Seitdem hat er jedoch Jahr für Jahr mit ansehen müssen, wie die Versprechen der Wirtschaft leer und leerer wurden und tausende junger Leute ohne Lehrstelle blieben. Müntefering hält diesen Zustand für einen gesellschaftlichen Skandal. Ohne gesetzlichen Druck, davon ist er inzwischen überzeugt, wird die Politik bei der Wirtschaft in dieser Frage nichts erreichen. Dass das Gesetz teuer und bürokratisch ist – das weiß Müntefering. „Keiner kann jedoch sagen“, klagt er, „wie es anders gehen soll.“ So steht die Ausbildungsplatzabgabe für münteferingische Parteiräson, politischen Zweck und sauerländische Sturheit.

Und für die taktische Geschmeidigkeit des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Weil ihm das Gesetz so wichtig ist, hat Müntefering an vielen Stellen nachgegeben – aus machtpolitischem Kalkül, nicht etwa aus fachlicher Überzeugung. Die Befreiung vieler Betriebe von der Ausbildungspflicht, etliche Sonderregelungen für einzelne Branchen und schließlich die Verankerung eines freiwilligen Ausbildungspaktes im Gesetz, damit die Zwangsabgabe nicht gezahlt werden muss – hier heiligen die Mittel den Zweck. Es ist Müntes Gesetz.