Folter bleibt ein Fremdwort

Die Bush-Regierung verordnete sich eine lange Reaktionszeit, trotz immer neuer schrecklicher Details – und findet im Kongress keine Geduld mehr

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Eine Woche ist es her, dass der US-Fernsehsender CBS die ersten skandalösen Bilder von der Folter irakischer Häftlinge durch US-Soldaten veröffentlichte. Immer wieder hieß es danach beschwichtigend, dies seien zwar abscheuliche Taten, jedoch nur Einzelfälle irregeleiteter Soldaten. Doch jeden Tag kommen neue schockierende Details aus den dunklen Gefängniszellen ans Tageslicht, die deutlich machen, dass der Einsatz von Foltermethoden offenbar verbreiteter ist als bisher angenommen.

So gestand das Pentagon am Dienstag ein, dass in US-Militärgefängnissen in Irak und Afghanistan bis zu 25 Gefangene durch Misshandlungen gestorben sind. 35 Fälle mutmaßlicher Misshandlungen würden noch untersucht. Die Täter sind nach Angaben der New York Times mit geringen Strafen davongekommen. Fünf Soldaten seien unehrenhaft aus dem Dienst entlassen, kein Einziger sei zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Aufsehen erregte am selben Tag die Ankündigung eines kanadischen Staatsbürgers, der im Irak irrtümlich inhaftiert war, die US-Streitkräfte wegen Folter und Körperverletzung auf 350.000 Dollar Schadenersatz verklagen zu wollen. Der Mann sagte der Nachrichtenagentur Associated Press, er sei drei Tage lang in einem Panzer festgehalten und von US-Soldaten geschlagen worden. „Ich sah, wie sie Irakern unaussprechliche Dinge zugefügt haben.“

Damit nicht genug. Das Verteidigungsministerium musste einräumen, dass die Armeeführung im Irak bereits im vergangenen Herbst Hinweisen zu Foltervorwürfen nachging. Ein Kommandeur, dessen Name nicht genannt wurde, ordnete damals eine Untersuchung an. Die Ergebnisse bleiben jedoch weiter unter Verschluss.

Doch derartige Geheimniskrämereien wie auch das tagelange Schweigen von Pentagon-Chef Donald Rumsfeld stellten sich als unzureichendes Krisenmanagement in einem Skandal heraus, dessen Tragweite „die Bemühungen der USA im Nahen Osten um zwanzig Jahre zurückwerfen kann“, wie es ein Sicherheitsexperte formulierte. Vielleicht dämmerte Rumsfeld der Ernst der Lage dann doch ein wenig, als er am Dienstag endlich vor die Mikrofone trat; Präsident George W. Bush hatte ihn durch wiederholte öffentliche Aufforderungen regelrecht dazu getrieben. Als „völlig inakzeptabel und unamerikanisch“ verurteilte Rumsfeld die Vorfälle und ließ für einen Augenblick den Eindruck aufkommen, er meine dies ohne Wenn und Aber. Aber beim Begriff „Folter“ hörte die rigorose Haltung auf. Nein, darum handle es sich nicht, allenfalls um Misshandlungen, sagte er. Was im Gefängnis Abu Ghraib unter Saddam Hussein geschehen sei, das sei Folter gewesen.

Man hätte es erwartet, doch Rumsfeld kam kein Wort der Entschuldigung oder der Demut über die Lippen. Solche Dinge geschähen nun einmal in einem „System, das nicht perfekt ist“, tönte er trotzig. Wie groß sein Interesse an den Vorfällen ist, ließ er erkennen, als er zugab, den Untersuchungsbericht über Abu Ghraib noch nicht vollständig gelesen zu haben.

Diese halbherzige Haltung war mehr als kontraproduktiv, das dürfte nun auch Präsident Bush eingesehen haben. Er verurteilte gestern Abend im arabischen Fernsehen die Vorfälle, versprach vollständige Aufklärung, benutzte aber weiter nur das Wort „Misshandlungen“. Ob Bush mit seinem TV-Auftritt die aufgeheizte antiamerikanische Stimmung im Nahen und Mittleren Osten besänftigen kann, bleibt allerdings zweifelhaft. Auch die angeordneten Goodwillaktionen – kein Schlafentzug mehr für Häftlinge, kein Tragen von Kapuzen und die Reduzierung der Häftlingszahl in Abu Ghraib von 3.800 auf die Hälfte – kommen wahrscheinlich zu spät.

Auf die viel zu späte Unterrichtung des Kongresses und die lange Geheimhaltetaktik des Pentagons bezüglich der seit Januar bekannten Untersuchungen reagierten Kongressabgeordnete beider Parteien in Washington stinksauer. Der demokratische Senator Ted Kennedy befürchtet, dass es sich nur um die „Spitze eines Eisbergs“ handelt. Bushs Parteifreund Senator John McCain will Rumsfeld möglichst rasch zu einer öffentlichen Anhörung zitieren. Gestern sollten bereits Militäragenten vernommen werden – allerdings hinter verschlossenen Türen.

Die US-Geheimdienste, die in irakischen Gefängnissen die Verhöre vornehmen, schieben sich unterdessen gegenseitig den schwarzen Peter zu. Der Militärgeheimdienst, maßgeblich verantwortlich für „besonders wertvolle Häftlinge“, ließ verlauten, dass gegen seine eigenen Leute bislang keine Foltervorwürfe erhoben wurden. Der Auslandsgeheimdienst CIA sieht jegliche Verantwortung beim Militärgeheimdienst. Kompliziert wird die Sache noch dadurch, dass angeblich auch vom Pentagon beauftragte zivile Sicherheitsfirmen in die Sache verstrickt sind. Die Frage, ob auch zivile Sicherheitsleute der Militärjustiz unterstehen, sei sehr kompliziert, sagt Deborah Avant von der Georgetown University in Washington. Allerdings sei der Punkt prekär, da in dem nahezu rechtlosen Umfeld, verstärkt durch Militärpersonalmangel, immer mehr Zivilisten im Irak den Soldatenjob übernähmen.

Viele Experten glauben, das US-Militär sei im Irak völlig überfordert, tausende Gefangene zu bewachen: Überfüllte Gefängnisse, zu wenige Militärpolizisten, kaum Armeespezialisten für Verhöre, kaum Kontrolle von außen. „Es ist wie im Wilden Westen“, sagt Avant.