„Sie sind überall. Es ist widerlich“

Heuschreckenplage im Westen der USA: Allein in Utah wurden zweieinhalb Millionen Hektar Ernte vernichtet

WASHINGTON taz ■ Rot leuchten elektronische Warnschilder auf den Highways. „Heuschrecken! Schleudergefahr!“ Die dunkelroten, fingergroßen Insekten kennen kaum Hindernise. Von Autoreifen zerquetscht, hinterlassen sie einen schleimigen Teppich, gefährlicher als Schnee und Eis. Der amerikanische Westen wird seit Tagen von riesigen Heuschreckenschwärmen heimgesucht. Der milde, trockene Winter, die frühe Hitze schufen ideale Brutbedingungen. Fachleute sprechen von der schlimmsten Plage seit fünf Jahrzehnten. „So was haben viele Farmer noch nie erlebt“, sagte Michael Cooper, Vorsitzender des Nationalen Heuschreckenkontrollrates.

Die Staaten Nevada, Utah und Idaho sind am schwersten betroffen. Hier haben die ersten Insektenschwärme bereits kilometerlange Schneisen in die Felder gefressen. Aber auch in Kalifornien, Nebraska und Wyoming haben Bauern Vorboten der roten Plage gesichtet. Die Gouverneure von Utah und Idaho sprachen von einer Katastrophe für die Landwirtschaft. Experten fürchten, dass allein in Utah zweieinhalb Millionen Hektar Ernte vernichtet werden. Bereits jetzt klagen Farmer im Mormonenstaat über Ernteausfälle in Höhe von 25 Millionen Dollar.

Doch die Plage bedroht auch den für die Bundesstaaten lebenswichtigen Tourismus. Die stinkenden, wenig appetitlichen Heerscharen okkupieren Rastplätze, Nationalparks, fressen Grünanlagen kahl, kriechen selbst in Parkhäuser. „Sie sind überall. Widerlich“, sagte eine Geschäftsfrau im lokalen TV.

Die im Westen der USA beheimatete „Mormonen-Heuschrecke“ ist dunkelrot, rund fünf Zentimeter lang, frisst in ihrem 90-tägigen Leben bis zu 20 Kilogramm Grünzeug und kann während einer Saison bis zu 80 Kilometer zurücklegen. Ihren Namen erhielt sie 1848, als eine Plage die Ernte der ersten Mormonensiedler in Utah zu vernichten drohte. Vogelschwärme vom Großen Salzsee brachten jedoch seinerzeit Rettung.

Auf diese natürliche Lösung wollen sich die Behörden nicht verlassen, setzen auf Insektenvernichtungsmittel. Der Einsatz von Pestiziden brachte jedoch Umweltschützer auf die Barrikaden. In Idaho erreichten sie mit einer Klage, das Sprühen zu verbieten, da es gegen ein landesweites Wasserschutzgesetz verstoße – der Zorn von Bauern und Viehzüchtern ist ihnen sicher. In Utah und Nevada wird weiterhin großflächig gesprüht, doch gegen die Masse der Tiere sei bereits nicht mehr anzukommen, klagen die Einsatzteams.

Die Insektenplage trifft den Westen der USA besonders hart. Nach jahrelanger, in vielen Regionen anhaltender Dürre und den verheerenden Waldbränden im letzten Jahr hofften die Menschen vielerorts auf ein besseres Jahr für Landwirschaft und Tourismus. Wie verzweifelt sie nun sind, lässt sich an den Worten von Fawn Carey ablesen, die in Boise County, im südwestlichen Idaho, als Katastrophenschutzhelferin arbeitet. „Je mehr Grün sie fressen, je trockener wird es, je größer die Chance für Brände. Wohl erst das Feuer wird die Heuschrecken endgültig vernichten.“ MICHAEL STRECK