„Ich sage nicht: Boah, ich bin ein Star“

Thomas Anders war das Anhängsel von Dieter Bohlen. Dachte man. Doch allmählich beginnt die Öffentlichkeit, den weltbekannten Pop-Entertainer ernst zu nehmen – und er sich selbst

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Herr Anders, Sie sind nun über zwanzig Jahre im Popgeschäft, überwiegend als Teil von Modern Talking. Sind Sie ein Star?

Thomas Anders: Ich würde das niemals von mir selbst sagen. Das müssten andere sagen. Die Phantasie der Menschen macht einem zum Star. Ich stehe morgens nicht auf und sage: Boah, ich bin ein Star.

Was sonst?

Nee, nee, ich guck mich im Spiegel an und denke, lieber Gott, die Zeichen der Zeit gehen auch nicht an dir vorbei. Und ich sage auch bestimmt nicht: Ich bin Thomas Anders.

Wer denn?

Bernd. Das ist ja mein echter Vorname. Thomas heiße ich als Künstler seit der allerersten Plattenaufnahme. Was ich sagen will, was meine Erfahrung ist: Die Menschen, nur sie, machen einen zum Star – zum Ziel ihrer Wünsche, Hoffnungen, Träume.

Gibt es heute noch echte Stars?

Da habe ich manchmal meine Zweifel. Der Star früherer Tage zeichnete sich aus durch Talent, natürlich auch durch viel Arbeit und Disziplin. Er war immer zugleich ein Mythos.

Und heute können Stars gewählt werden.

Seltsam, nicht wahr? Das passt einfach nicht. Das ist zwar wunderbar demokratisch, aber das hat nichts mit dem zu tun, was man „Star“ nennt.

Warum dürfen Stars nicht gewählt werden?

Weil sie, sonst glaubt ihnen ihr Publikum nicht, vom Schicksal bestimmt sein müssen.

Alexander wurde Sieger bei „Deutschland sucht den Superstar“. Verdient der dieses Prädikat?

Nein.

Dessen Platten verkaufen sich doch glänzend.

Und? Er muss erst mal weitere Jahre in dieser Position überleben. Das kennen wir doch: Wenn bei RTL einmal pro Viertelstunde so’n Song läuft, dann hat man sich irgendwann an den gewöhnt und hält den für einen Hit.

Hat Alexander Potenzial?

Vielleicht. Das muss sich erst noch herausstellen. Das meine ich überhaupt nicht böse. Aber Hype bleibt Hype – eine medial aufgeheizte Behauptung.

Wie erklären Sie, dass dieser junge Sänger überhaupt gewählt wurde?

Na ja, wenn es einen Wettbewerb wie bei DSDS gibt, dann muss einer gewinnen. Und es war Alexander. Man spricht, so sehe ich das, heute viel zu schnell von Stars. Kein Wunder, denn die Sender müssen ja ihre Programme füllen, jeden Tag, jede Stunde – das ganze Jahr über.

Aber hat in der Vergangenheit nicht auch Modern Talking eine Menge Sendezeit gefüllt?

Das war wohl so.

Wem galten mehr Sympathien – Dieter Bohlen oder Ihnen?

Für Dieter war es eher die Jungsfraktion, für mich waren es eher die Mädels. Dieter verkörperte für die Jungs alles, was sie auch wollten. Ferrari fahren, große Sprüche bringen, Frauen aufreißen, Kohle haben.

Und welche Images bedienten Sie?

Dass man sich mit mir unterhalten kann, dass ich treu bin und fürsorglich. Und für sie singe. Und das hat eine unglaubliche Faszination, für eine Frau zu singen. Da kriegt man übrigens die meisten Frauen mit rum.

Sie lachen? Hieß das Konzept etwa „Bohlen für die Jungs, Anders für die Frauen“?

Nein. Es gab bei uns kein Konzept.

Trotzdem haben Sie mit einer Klage reagiert, als man sie mit der Formulierung „höhensonnengegerbte Sangesschwuchtel“ schmähte.

Das war ich mir schuldig. Das war einfach unverschämt und herabsetzend gemeint. Zuerst wollte ich nicht reagieren, aber irgendwann gab es so einen Punkt, wo ich mich selbst zum Deppen gemacht hätte.

Wann?

Als es immer gehässiger wurde. Und ich mir nicht das Image zuziehen wollte, mich nicht wehren zu können. Ich dachte: 300 Tage im Jahr unterwegs, Millionen Platten, permanent in der Bravo – und plötzlich soll ich allen Neid aushalten?

Fanden Sie selbst die Musik von Modern Talking gut?

Ja, sehr, und ich finde sie immer noch gut. Dieter hat es einfach verstanden, Titel für meine Stimme zu schreiben, die Leute zum Träumen bringt. Weltweit. Am Nordkap, in Katmandu, sonstwo. Das musste einfach einen Nerv getroffen haben – jedenfalls war es nicht aus einem Marketingkonzept heraus geboren.

Pure Industriemusik.

Oh, wie abfällig.

Sagen aber Kritiker.

Wenn man einen Hit hatte wie mit „You’re my heart, you’re my soul“, überlegt man sich, wie das Erfolgsrezept genau lautet. Hand aufs Herz: Klingen nicht alle Titel von Udo Jürgens auch gleich?

Oder den Beatles?

Klar, die sowieso. Und Phil Collins oder das neue Album von George Michael, das ich sehr mag, aber hört sich das nicht an wie das von vor fünf Jahren? Das ist einfach eine Frage der ID, der Markenidentität.

Sind Popstars denn nicht ohnehin vor allem Produkte?

Ja, sicher. Aber wenn sie zu Stars werden, dann vergisst man gern, dass auch sie Produkte verkörpern. Aber alles muss erkennbar bleiben – als Marke. Selbst die neuesten Mercedes-Modelle sehen wie Mercedes aus. Und für Porsche wäre es doch das Fatalste der Welt, würden die ihren Neun-Elfer so umdesignen, dass er nicht mehr wie ein Neun-Elfer aussieht. Dann wär der Erfolg vorbei. Warum wirft man Modern Talking seine Produktidentität vor?

Beschäftigt Sie das auch heute noch sehr?

Nein, ich betrachte mich von damals, in den Achtzigern, inzwischen als dritte Person. Ich belächle das fast. Und mit etwas Abstand kann ich auch den Schmäh mit der „höhensonnengegerbten Sangesschwuchtel“ verstehen. Aber das war damals eben so. Alles etwas androgyn, typisch Achtziger, so wie Boy George oder Freddie Mercury, das war völlig normal.

Zuletzt sah man Sie bei Stefan Raabs Grand-Prix-Casting-Show als Juror – und Sie wurden gelobt. Tat das gut?

Ja. Ich kann es mir gar nicht richtig erklären. Ich war in dieser Show genau so, wie ich bin. Ich hatte zum ersten Mal die Möglichkeit, mich so zu geben. Ich wurde ja immer als Anhängsel von Bohlen wahrgenommen …

wobei Ihnen der Musikproduzent Frank Farian in seinem Bohlen-Abrechnungsbuch bewundernd attestiert, eigentlich allein Modern Talking gewesen zu sein.

Das will ich nicht kommentieren, aber es ist kein schlechter Blick auf das, was das Phänomen Modern Talking war. Aber Bohlen hat nie etwas getan, dass ich mich neben ihm gleichwertig fühlen konnte. Er musste immer das Alphatier darstellen, für alle anderen blieb nur der Schatten.

Haben Sie sich nie gewehrt?

Nein, und ich kann nicht mal sagen, warum. Es hätte viel Konfrontation gegeben. Er hätte wahrscheinlich zähneknirschend mitgemacht. Aber neben ’nem Bohlen stehen, der ’ne Flappe zieht bis zu den Knien, das ist auch nicht gerade prickelnd. Für mich war immer klar: Meine Zeit wird kommen.

Ist sie jetzt da?

Bei Stefan Raab konnte ich zeigen, dass ich fünf zusammenhängende Sätze sprechen kann und eine musikalische Kompetenz habe. Aber ich weiß, dass ich noch sehr viel an mir arbeiten muss, um als Moderator oder Solokünstler immer besser zu werden.

Wie ist es, von Bohlen nicht mehr abhängig zu sein?

Ich war nie von ihm abhängig. Aber es ist ein gutes Gefühl, nicht mehr zu seinem System zu zählen.

Oder ist es eine günstige Fügung, dass alle Welt von Bohlen aktuell genervt ist und sich nun lieber Thomas Anders widmet? Profitiert die Ware Anders davon, wenn die Ware Bohlen gerade keine Konjunktur hat?

Meine Karriere möchte ich nicht darauf aufbauen, dass ein anderer gerade keine macht. Dies ist das Prinzip Bohlen: Andere kleiner machen, damit man selbst größer wird. Vielleicht hat mein Erfolg auch etwas mit meinem Können zu tun.

So sicher schien es nicht, dass Sie nach Modern Talking auf die Beine kommen – in der Bild- Zeitung standen unfreundliche Sachen über Sie.

Es gab eine Schrecksekunde, ja.

Sie sollen Dieter Bohlen um Geld betrogen haben.

Würd ich nie tun. Als die Schlagzeile erschien, wusste ich nicht, wie die Öffentlichkeit auf sie reagiert. So von wegen, das ist ja ’ne linke Type. Ich wusste, als das erschien, nicht, wie es mit meiner Karriere weitergehen wird.

Das Publikum entschied sich, Ihnen zu glauben. Können Sie trotzdem vor Bohlen noch Respekt haben?

Null. Da gibt es nichts mehr. Kein Gefühl. Keinen Respekt.

Auch Verachtung?

Wenn ich es mir recht überlege: Ja. Und Mitleid.

Ist es für Ihre ID vorteilhaft, dass Ihnen stets mehr Seriosität unterstellt wird als Dieter Bohlen?

Könnte sein. Aber eigentlich spielt es keine Rolle. Wenn ich Galas mache und auf der Bühne stehe, vermisst kein Mensch einen Dieter Bohlen, der asynchron auf der Gitarre rumzwirbelt und keinen Ton singt.

Ihnen scheint eine Last genommen.

Ja, es war eine Last, wenn man zu einem Konzert fährt und keiner wusste, wie er denn gelaunt ist. Das ganze Umfeld zitterte. Ist er gut oder mies drauf? Natürlich ist das jetzt befreiend. Ich muss nicht mehr vor Peinlichkeit im Boden versinken, weil er einem Regisseur sagt, dass er zu dämlich ist, einen Film zu drehen. Oder vor Scham vergehen, wenn er einem Fernsehredakteur sagt, er kennt keinen Franz Beckenbauer, der sei ihm scheißegal.

Das ist vorbei.

Und ich bin happy.