In Kraftwerks Land

„Hier kann ich arbeiten“: Als Daniel Bell nach Deutschland kam, dachte er, das gelobte Land erwarte ihn. Nun wohnt die Detroiter Techno-Legende aus funktionalen Gründen in Berlin. Ein Porträt

Mit dem Mainstream, sagt Bell, lässt sich Minimal-Techno nicht versöhnen

von THOMAS WINKLER

Manchmal findet man inmitten der neuen Mitte jenen Typus des selbstständigen Kleinunternehmers, auf dessen Schultern die Ökonomen den immer noch auf sich warten lassenden wirtschaftlichen Aufschwung laden wollen. Dort sitzt er dann bei Starbucks und ist drahtlos mit der ganzen Welt verbunden. Daniel Bell, DJ, Labelbesitzer, Remixer, Produzent, und sein blütenweißer Laptop empfangen den Gesprächspartner beim multinationalen Konzernkaffee an den Hackeschen Höfen. „Hier“, erklärt er, „kann ich arbeiten.“

Bell, aufgewachsen in Detroit und dort als einer der Begründer von Minimal Techno zur Legende geworden, lebt seit zweieinhalb Jahren in Berlin. Oder hat seine, wie er es nennt, „homebase“ hier genommen, während sein Lebensmittelpunkt mit ihm auf Reisen geht: Den Apple unterm Arm, die Plattenkiste im Gepäck, ist Berlin so gut wie und in Bezug auf Wohnungspreise besser als jede andere Stadt, „solange ein Flughafen in der Nähe ist“. Die Hauptstadt ist für ihn vor allem „die billigste Metropole weltweit“. Das globale Dorf macht es möglich, dass die Platten weiterhin in den USA gepresst und von dort vertrieben werden.

Früher einmal war das Bild, das er sich von seiner jetzigen Heimat gemacht hatte, bei weitem nicht so funktional: Als Bell vor mehr als einem Jahrzehnt zum ersten Mal herkam, besuchte er, dachte er jedenfalls, „das Land von Kraftwerk“. Für die Detroiter Szene, die House, Techno und manches Subgenre entwickelte, waren die Düsseldorfer Elektronikpioniere „der größte Einfluss“. In dem Plattenladen, in dem Bell in Detroit arbeitete, waren ihre Veröffentlichungen stets vorrätig, erinnert er sich, in lokalen Radiosendern liefen sie den ganzen Tag.

Bell, aufgewachsen zwischen HipHop und Steve Reich, begann den zu Beginn der Neunzigerjahre bereits klassischen, vom Discosound der Siebziger entscheidend beeinflussten Detroit House mit der Hilfe der Kraftwerk’schen Prinzipien immer weiter zu reduzieren. Als DBX oder im Duo mit Richie Hawtin als Cybersonik veröffentlichte er wegweisende Tracks wie „Losing Control“, die Minimal Techno definierten und eine ganze Generation von Produzenten und DJs prägten. Indem hierzulande Labels wie Kompakt, Basic Channel oder Playhouse ihren elektronischen Minimalismus über den Umweg Detroit adaptierten, waren Kraftwerk schließlich zu Propheten geworden, die im eigenen Land etwas gelten.

Wo und auf wen Bell Einfluss genommen hat, das lässt sich fast schon exemplarisch verfolgen anhand seines unlängst erschienenen Beitrags zur DJ-Mix-Serie „Caught in the Act“. Auf seiner Zusammenstellung „The Button-Down Mind Strikes Back!“ finden sich Tracks von Closer Musik, Akufen und anderen, die jenen auf das Nötigste reduzierten Sound, den Bell selbst definierte, in einer verfeinerten Form konsequent zu Ende denken. So konsequent, glaubt Bell, dass Minimal Techno mittlerweile „zu weit entfernt vom Mainstream ist, um von ihm aufgegriffen zu werden“.

Eigene Stücke von Bell sucht man auf „The Button-Down Mind Strikes Back!“ allerdings vergeblich. Er habe es versucht, berichtet er, aber „mein Flow hat sich nicht vertragen mit den fremden Tracks“. Nicht nur deshalb soll im September eine CD folgen, die zusammenfasst, was er in den letzten Jahren veröffentlicht hat.

Momentan allerdings ist er vor allem mit seinen drei Labels 7th City, Accelerate und Elevate beschäftigt. Auf denen hat er bislang ungefähr 30 Platten ausschließlich auf Vinyl herausgebracht – so genau weiß das selbst der Firmenbesitzer nicht mehr. Die Veröffentlichungen werden hauptsächlich von anderen DJs gekauft, und so pendelt sich der Absatz relativ stabil ein. Die Labels, mal ein DJ-Job, mal ein Remix-Auftrag reichen zum Leben, wenn man einer jener Eigenverantwortlichen ist, die aus einer Starbucks-Filiale heraus ihre Existenz sichern können.

Daniel Bell: „The Button-Down Mind Strikes Back!“ (Logistic/Zomba)